Du bist selbst als Kind in den Schulferien oft auf dem Bauernhof zu Gast gewesen. Du weißt noch genau, wie es riecht, wenn du direkt über den Ställen im Matratzenlager schliefst. Du hast es geliebt, auf den Feldern zu helfen, oder die Kirschen von den Bäumen zu pflücken. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gab es immer etwas zu tun, und der Bauer war dein Held. Natürlich warst du stolz wie Oskar, wenn du hinten auf seinem Traktor mitfahren durftest. Das war so ein kleines grünes Ding, sehr laut und hart, damals noch ganz ohne digitalen Schnickschnack. Schöne Erinnerungen also. Dies voraus geschickt, bist du jetzt genervt von der Dreistigkeit der Bauern, die mit ihren Monstertreckern überall die Straßen blockieren. Denn das muss man sich mal reinziehen. Die fahren mit ihren steuerbefreiten Riesentraktoren und mit (derzeit) noch vom Staat subventionierten Diesel im Tank großspurig und laut durch die Gegend und wollen dafür auch noch den Beifall der Gesellschaft. Sie schreiben blödsinnige Plakate: „Stirbt der Bauer, stirbt das Land“ und so. Aha, und derweil sterben alte Menschen in Pflegeheimen, wo Geld und Personal fehlt. Nur dass halt die Pflegenden kein Traktoren haben, um zu demonstrieren.
Es mag zwar sein, dass imposante Sternfahrten der Bauern in der Öffentlichkeit gewaltiger wirken, weil sie quasi die monströse Waffe schon mitbringen. Berechtigter ist der Protest deshalb aber noch nicht. Denn es geht am Ende auch darum, dass der Staat nicht alles und jeden endlos subventionieren oder unterstützen kann. Es kann nicht sein, dass die Lautesten und auch am besten ausgerüsteten Demonstranten mehr bekommen als andere, deren Anliegen vielleicht nicht minder berechtigt ist.
Es ist eine Zweckentfremdung durch die Bauern
Pflegekräfte in Altenheimen etwa oder in den Pflegediensten, die Menschen zu Hause versorgen, haben nicht nur eine schwächere Lobby, es gelingt ihnen auch nicht, die Republik mit ihren Anliegen so zu erschüttern wie jetzt Bauern oder Lokführer. Obwohl ihnen während und nach der Corona-Pandemie alle möglichen Verbesserungen versprochen wurden, bleibt der Mangel an Geld, Menschen und Zuwendung in der Versorgung der Alten dramatisch. Und die Gesellschaft altert weiter.
Es gäbe noch etliche andere Bereiche, in denen der Staat ebenfalls guten Grund hätte, mehr zu tun, zum Beispiel in der Bildung, die ein Grundstock für den Fortbestand der Demokratie, aber auch der wirtschaftlichen Stärke des Standorts Deutschland sein sollte.
Es ist im Grunde eine Zweckentfremdung, wenn die Bauern ihre subventionierten Geräte einsetzen, um die Politik und damit auch die Gesellschaft zu erpressen. Und es ist wohl nur dem archaischen Wert zu verdanken, den Bauern für die Gesellschaft darstellen, dass ihr Protest überwiegend akzeptiert oder sogar gelobt wird. Man könnte jetzt mit der Geschichte anfangen, mit Mistgabeln gegen die Obrigkeit, also dem sogenannten „Deutschen Bauernkrieg“, der in diesem Jahr genau vor 500 Jahren ausbrach, nämlich 1524.
Aber du musst ja nicht so lange zurück gehen, um zu wissen, dass der Bauer, dein Held, von früh bis spät ackerte, ein braun gebranntes Gesicht und ordentliche Muskeln hatte – also einer war, der stets der Natur etwas abtrotzte. Das ist archaischer als ein zeitgemäßer Job vor dem Computer im Homeoffice. Kann sein, dass deshalb eine Mehrheit der Deutschen den Protest der Bauern irgendwie mit Sehnsüchten und schlechtem Gewissen begleiten. Die Gefühlslage gerade auch der „Städter“ soll von den Protesten ausgenutzt werden: „Kartoffeln wachsen nicht im Supermarkt“, heißt ein entsprechender Slogan.
Das stimmt. Aber die Wirtschaftskraft Deutschlands wächst eben auch nicht auf dem Acker. Im Jahr 1950 arbeitete noch ein Viertel der deutschen Beschäftigten in der Landwirtschaft, heute sind es nur gut ein Prozent. Eine halbe Million Menschen sind in Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei tätig. Die Bruttowertschöpfung – also der Anteil an der Wirtschaftsleistung – ist in diesem Zeitraum ebenfalls gesunken, von elf auf ein Prozent.
Wie schlecht geht es den Bauern wirklich?
Die gestiegenen Lebensmittelpreise führen dazu, dass Landwirte mit ihrer wirtschaftlichen Lage so zufrieden sind wie zuletzt vor neun Jahren. So steht es im „Situationsbericht“, den der Deutsche Bauernverband jährlich herausgibt.
So kletterte der Gewinn der Bauernhöfe im Geschäftsjahr 2022/23 um fast die Hälfte auf gut 115 000 Euro im Jahr. Zwar arbeiten auf Höfen oft Familienmitglieder mit, die dafür keinen Angestelltenlohn erhalten. Der Gewinn muss also auf mehrere Personen aufgeteilt werden. Doch auch nach dieser Berechnung stieg der Profit auf fast 82 000 Euro pro Familienmitglied.
Zum Vergleich: Die Dieselbeihilfe, die nun abgeschafft werden soll, entlastet einen durchschnittlichen Bauernhof mit jährlich 2900 Euro, wie im Agrarpolitischen Bericht der Bundesregierung nachzulesen ist. Das entspricht etwa 2,5 Prozent des Gewinns von 115 000 Euro. Die Dieselbeihilfe ist zudem nur ein kleiner Teil der Gesamtsubventionen für die Branche. Im Durchschnitt kassierte ein Bauernhof zuletzt fast 48 000 Euro im Jahr, wobei der Großteil auf EU-Beihilfen entfällt.
Ein Problem dabei: Viele der Subventionen sind sozial nicht abgestuft, weshalb ein Großteil der EU-Milliarden nach Fläche ausbezahlt wird. Heißt: Die Großen bekommen viel, die Kleinen wenig. Es gibt also auch Landwirte, die um ihre Existenz fürchten. Zumal Lebensmittelpreise und der Ernteertrag von Jahr zu Jahr schwanken. Gerade kleine Höfe tun sich oft schwer. Während die Zahl der Betriebe mit weniger als 100 Hektar Fläche sinkt, steigt die Zahl der größeren Höfe. Mit Blick auf die aktuellen Proteste könnte man sagen: Die mit den Monstertreckern haben keinen Grund zu jammern. Die Politik sollte eher für jene Landwirte Lösungen suchen, die einen kleinen Hof betreiben wollen.
Der neue, alte Idee des „Tierwohl-Cent“
Die Idee ist nicht neu: Bereits 2019 unter der früheren Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) wurde sie entwickelt. Im März 2021 hat auch der Bundesrat, also die Bundesländer, sich dafür ausgesprochen. Dann aber verschwand sie in der Schublade, da keine Regierung sich traute, sie auch umzusetzen. Nun wird sie unter dem Druck der aktuellen Bauernproteste wieder hervor geholt. „Wir müssen das Rad nicht neu erfinden, vielmehr müssen wir es jetzt endlich mal einbauen“, sagte entsprechend denn auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Er sprach von einem „Tierwohlcent“.
Gemeint ist eine Abgabe, die auf Verbraucher von Fleisch und tierischen Produkte umgelegt wird: 40 Cent je Kilo Fleisch, zwei Cent je Kilo Milch oder Eier, 15 Cent auf Butter und Käse. 3,6 Milliarden Euro im Jahr könnten so zusammenkommen. Die Mittel sollten verlässlich an Höfe ausgeschüttet werden, die ihre Ställe zum Wohl der Tiere umbauen.
Für die Bauern wäre die Summe von 3,6 Milliarden Euro eine Vielfaches von den 440 Millionen Euro Subvention des Agrardiesels, um die gerade gestritten wird. Allerdings nur für Höfe, die Tiere halten. Zahlen müssten es die Verbraucher, die aber dafür sozusagen auch noch ein gutes Gewissen einkaufen würden.
Die Sache mit dem Fass und dem Tropfen
Wenn Bauernpräsident Joachim Rukwied ständig von dem „Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt“ fabuliert, muss man darauf hinweisen, dass dann das Fass zuvor ja wohl schon randvoll war. Das passt nicht recht zum Slogan „Die Ampel muss weg!“ – denn das Fass voll gemacht hat über Jahrzehnte die Union.