Es ist ein bisschen wie bei der Verleihung des Oscars. And the winner is: Christian Lindner! Bei der Verabschiedung des Entwurfs für den Haushalt 2024 durch das Bundeskabinett strahlt der Finanzminister über allem. Denn es sieht so aus, dass Lindner mit Unterstützung von Kanzler Scholz sein Kernanliegen in die Tat umsetzen konnte: Die Einhaltung der Schuldenbremse im Jahr 2024. Der Finanzminister steht somit als eben jener solide wirtschaftende Finanzminister da, der er schon immer sein wollte, aber aufgrund von Corona- und Energiekrise bisher nicht sein durfte. Das dürfte vor allem denjenigen in der Opposition nicht gefallen, die der Ampel gerne ein seriöses Finanzgebaren absprechen wollten. Und es gefällt ganz bestimmt auch all jenen nicht, inklusive Parteien der Ampel selbst, die es lieber gesehen hätten, wenn 2024 nochmal ein bisschen mehr Schulden gemacht worden wären, damit alle bekommen, was sie sich wünschen. Weil sich Lindner durchgesetzt hat, zwickt und zwackt es vor allem bei sozialen Projekten wie der ab 2025 geplanten Kindergrundsicherung.
Es ist ein durchaus nettes Sümmchen: 445,7 Milliarden Euro will der Bund im kommenden Jahr 2024 ausgeben. Allerdings sind dies rund 30 Milliarden weniger als in diesem Jahr (2023), als es aber wie in den Vorjahren etliche krisenbedingte Ausgaben aufgrund der Corona-Pandemie und der Energiekrise gab.
Nun will also Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf einen strikten Sparkurs umschwenken. Sein Wahlversprechen: Die Schuldenbremse soll eingehalten werden. Nach langen und schwierigen Verhandlungen wurde der Haushaltsentwurf für 2024 und die Finanzplanung für die folgenden Jahre im Kabinett verabschiedet. Nun kann das parlamentarische Verfahren beginnen. Dort gibt es in der Regel noch teils wesentliche Änderungen. Der Bundestag soll den Haushalt Anfang Dezember beschließen.
Wo gibt es noch echte Streitthemen?
Medial sind das vor allem die Themen „Elterngeld“ und „Kindergrundsicherung“, die hochgespielt werden. Beide betreffen demnach das Familienministerium von Ministerin Lisa Paus (Grüne). Dieses muss im kommenden Jahr mit fast 218 Millionen Euro weniger auskommen. Die veranschlagten Gesamtausgaben liegen bei rund 13,5 Milliarden Euro. Paus hat daraufhin angekündigt, beim größten Posten des Ministeriums, dem Elterngeld zu streichen. Die Lohnersatzleistung, die der Staat zahlt, wenn Eltern nach der Geburt der Kinder zu Hause bleiben, sollen Spitzenverdiener nicht mehr bekommen, sondern nur noch Eltern, die zusammen nicht mehr als 150.000 Euro im Jahr verdienen. Bisher lag diese Grenze bei 300.000 Euro.
An diesem Plan gab es heftige Kritik. Und an dieser Kritik wiederum entbrannte die Frage, wer wem dafür die Schuld gibt. Paus (und mit ihr die Grünen) sahen das so, dass Lindner (und mit ihm seine FDP) eben genau diese Kürzung der Familienministerin aufgedrängt hätten. Die FDP wiederum behauptete, dass Ministerin Paus es allein entscheide, wo sie einsparen wolle.
Es ist deshalb eine knifflige Debatte, weil es in diesem Falle gar nicht um die Frage geht, wer wie bedürftig ist, sondern es hier um eine familienpolitische Errungenschaft geht. Bei seiner „Regierungsbefragung“ im Parlament ließ Kanzler Scholz denn auch offen, ob es bei der aus Spargründen geplanten Kappung des Elterngeldes bleibt. „Das Elterngeld ist in der Tat eine große familienpolitische Innovation“, sagte Scholz. Es wurde ja unter anderem auch eingeführt, weil die Geburtenrate in Deutschland immer weiter sinkt.
Das große Thema Kindergrundsicherung
Das größte sozialpolitische Projekt der Ampelkoalition als solches ist beschlossene Sache, aber die Ausgestaltung und vor allem, wie viel es kosten darf, ist zwischen den drei Parteien umstritten. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart: „Wir wollen mit der Kindergrundsicherung bessere Chancen für Kinder und Jugendliche schaffen und konzentrieren uns auf die, die am meisten Unterstützung brauchen.“ Aber okay, im Koalitionsvertrag stehen lauter hübsche Sätze, die dann später alle Beteiligten anders interpretieren.
Die Faktenlage: Mehr als jedes fünfte Kind und jeder vierte junge Erwachsene in Deutschland sind von Armut betroffen. Im vergangenen Jahr waren drei Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren oder 21,6 Prozent armutsgefährdet. Bei den jungen Erwachsenen von 18 bis 24 Jahren waren es 1,55 Millionen oder 25,3 Prozent. Als armutsgefährdet gelten Menschen, die in Haushalten leben, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens haben.
Die Kindergrundsicherung soll so aussehen: Ab 2025 ist eine Bündelung aller bisherigen Leistungen in zwei Komponenten vorgesehen: Ein einkommensunabhängiger Garantiebetrag soll für alle Kinder gezahlt werden und zunächst auf Höhe des heutigen Kindergelds liegen. Das Geld soll grundsätzlich fließen, bis das Kind 18 ist, und unter bestimmten Voraussetzungen, etwa während einer Ausbildung, bis zum 25. Geburtstag. Außerdem ist ein Zusatzbetrag geplant, dessen Höhe vom Familieneinkommen abhängt. „Der maximale Zusatzbetrag der Kindergrundsicherung wird so festgesetzt, dass er in der Summe mit dem Garantiebetrag das pauschale altersgestaffelte Existenzminimum des Kindes abdeckt“, heißt es in den Eckpunkten des Ministeriums.
Die Frage ist halt, was es den Bund kosten wird oder darf. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hat sich jedenfalls in den Tagesthemen der ARD hingestellt und sich auf einen Brief berufen, den der Kanzler ihr schrieb. „Jetzt haben wir Klarheit, jetzt gibt es ein Einvernehmen.“ Die Kindergrundsicherung komme, und es werde „tatsächlich Leistungsverbesserungen geben“, da habe sie den Kanzler an ihrer Seite.Und ja, der Kanzler hat dies dann bei seiner „Regierungsbefragung“ im Parlament auch so ähnlich klingen lassen, wenn auch unbestimmt. Hintergrund ist dabei, dass Paus sich so um die 12 Milliarden Budget pro Jahr für die neue Kindergrundsicherung vorstellt, während der FDP-Finanzminister Lindner nur schlappe 2 Milliarden als „Statthalter“ in seiner Planung stehen hat. In Regierungskreisen hieß es dazu, der Brief des Kanzlers sei mit allen beteiligten Ministerien abgestimmt gewesen. Paus habe sich eine schriftliche Zusicherung gewünscht, dass die Kindergrundsicherung tatsächlich komme. Diese habe sie nun. Umgekehrt gelte aber auch, dass die Ministerin ein Konzept ausarbeiten müsse, statt einfach nur mit Zahlen um sich zu werfen. Klingt schon wieder nach dem nächsten Oskar für Lindner.
Es lässt sich kein ambitionierter Plan erkennen
Wenn also Christian Lindner den Oskar für den besten Hauptdarsteller des Haushalts-Entwurfs für 2024 bekommt, wer kriegt dann jene für die beste Regie und für den besten Film? In seiner eigenen Wahrnehmung sieht sich Olaf Scholz natürlich als reif für den Oscar, da er meint, dass er alles souverän inszeniert habe (siehe Seite 10). Hingegen sind sich alle in der Ampel darin einig, dass der Film, den sie bisher abgeliefert haben, keinen Preis verdient.
An dem Haushaltsentwurf selbst lassen sich auch keine ambitionierten Ziele ablesen. Es ist, als bilde er konkret nichts von dem ab, was die Regierung politisch will. Insofern folgt dieser Haushaltsentwurf für 2024 genau all jenen aus den 16 Jahren der Ära Merkel. Dieser fehlende politische Plan, der sich hier offenbart, steht im Widerspruch zu den ambitionierten Zielen, mit denen die Ampel-Koalition angetreten ist. Es ist fast so, als regiere Scholz wie Merkel zuvor.