Straßenkämpfe

In keinem anderen Feld der Energiewende wird so emotional gestritten wie beim Verkehr, ist das Auto in Deutschland doch seit jeher mehr als ein Verkehrsmittel. Schönau bringt Anfang Juli die Debatte von der Straße aufs Podium.

Bild links: Yool, Bild rechts:Kathrin Spirk

Mitglieder der „Letzten Generation“ kleben sich auf Straßen fest, um die Verkehrswende auf die politische Agenda zu zerren. Dagegen gehen Autofahrer zunehmend mit Gewalt vor und machen sich in Selbstjustiz den Weg frei. Ähnliche Eskalationsstufen erreicht der Konflikt, wenn Aktivistinnen und Aktivisten wie mehrfach im vergangenen Winter in zahlreichen Städten Luft aus den Reifen von SUV und anderen „Spritfressern“ lassen, deren Eigner umgekehrt den Klimaschützern mit Gewalt drohen. Und selbst einfache behördliche Erlasse provozieren bisweilen Straßenkampf ähnliche Konflikte, wenn Tempo-30-Zonen den Verkehrsfluss bremsen oder wenn Parkplätze verknappt werden.

Was bringt die Parteien so dermaßen auf die Palme, dass die Konflikte mehr und mehr auch gewaltsam ausgetragen werden? Die Klimaschutzgruppen begründen ihre radikaler werdenden Aktionsformen mit existentiellen Gefahren. „Es macht uns wahrlich keine Freude, von Autofahrern angeschrien und weggezerrt zu werden“, schrieb beispielsweise die Gruppe ‚Letzte Generation‘ auf Twitter. „Aber die Fahrlässigkeit der Regierung im Angesicht drohender Ernteausfälle, Kriege und sozialen Verwerfungen zwingt uns, auf die Straße zu gehen.“

Da ist viel Irrationales in der Debatte

Und die andere Seite? Was treibt die radikalen Autofahrer um, die mit Widerstand, Gewalt oder gar Mord drohen, wenn sie die freie Fahrt für freie Bürger in Gefahr sehen? Die Klimaaktivistin Katja Diehl (Foto oben rechts) hat nach Morddrohungen ihren Twitter-Account gelöscht. Anlass für den Shitstorm mit Gewaltandrohung war eine Veranstaltung von „Fridays For Future“ in Lübeck, bei der Diehl gesagt hatte: „Wir nehmen den Deutschen den Traum vom eigenen Auto und vom Eigenheim. Dessen müssen wir uns bewusst sein“.

Für die Autorin (Autokorrektur – Mobilität für eine lebenswerte Welt. Verlag: S. Fischer, 2022) und Beraterin geht es in der Debatte um Mobilität und Klimaschutz längst nicht nur um Fakten. „Eine wirkliche Funktion haben Autos nur einen Bruchteil der Zeit, nämlich in den 45 Minuten, die sie durchschnittlich am Tag bewegt werden“, sagt Diehl im Interview mit dem Energiewende-Magazin. „Da ist viel Irrationales in der Debatte. Ich suche Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Ich habe das Buch geschrieben, weil ich zeigen wollte, dass nicht alle Leute, die ein Lenkrad in der Hand halten, das freiwillig machen.“

Dass bei einem Teil der Bevölkerung ein Umdenken einsetzt, wenn es Alternativen zum Auto gibt, sieht auch der Professor für Umweltpsychologie Gerhard Reese (Foto oben links) so: „Das 9-Euro-Ticket war ein wirklich gutes, richtiges Instrument“, sagt er auf demeter.de. „Durch den geringen Preis und die Einfachheit senkte es für viele die Hemmschwelle, Zug zu fahren und das Auto mal stehen zu lassen.“ Doch als Psychologe weiß er, dass nicht alle rational zwischen den zur Verfügung stehenden Verkehrsmitteln abwägen. „Auf gesellschaftlicher Ebene dürfen wir nicht vergessen“, sagt Reese im taz-Interview, „dass wir in einer Konsumgesellschaft leben, die Konsum fördert, belohnt, verinnerlicht hat.“

Möglicherweise liegt in diesem verinnerlichten Konsumgedanken ein Grund für die Vehemenz, mit der Autofahren ohne Geschwindigkeitsbegrenzung oder jederzeit verfügbare Parkplätze verteidigt werden.

Mobilitätswende: Wie kommen wir in Bewegung?
Samstag, 01.07.2023

Podiumsdiskussion mit anschließendem Publikumsgespräch beim Stromseminar 2023 in Schönau.
Mit Katja Diehl (Mobilitätsexpertin und Autorin), Irma Trommer (Letzte Generation), Prof. Andreas Knie (Sozialwissenschaftler und Mobilitätsforscher), Prof. Gerhard Reese (Umweltpsychologe).

Mehr Infos unter: www.ews-schoenau.de/stromseminar