Wie gut sich Christian Lindner mit Kanzler Olaf Scholz versteht, hat ausgerechnet sein forscher Vorstoß im TV gezeigt. In der ARD-Sendung Maischberger schlug der FDP-Politiker vor, geplante bauliche Erweiterungen im Kanzleramt abzusagen. „Ich glaube, dass in Zeiten von mehr Homeoffice und ortsflexiblem Arbeiten ein 800 Millionen teurer Neubau neben dem Kanzleramt entbehrlich ist“ sagte Lindner. Und fügte süffisant mit Blick auf Scholz hinzu: „Ich glaube, der wird missvergnügt sein, dass ich das jetzt hier vorgeschlagen habe. Aber das ist mein Job.“ Der Finanzminister weiß, dass Scholz ihm stets den Rücken stärkt. Nicht zuletzt, weil es einen Kanzler Scholz ohne Lindner und die FDP gar nicht gäbe.
Geprägt wird dieses ganz besondere Verhältnis zwischen Lindner und Scholz natürlich zum einen von der Tatsache, dass Lindner Nachfolger von Scholz im Amt des Finanzministers ist. Also Scholz kann manches nachvollziehen, was da an Zahlen auf dem Tisch liegt. Und zum anderen, vielleicht entscheidender noch, ist da das Wissen, dass Lindner als FDP-Chef wahrlich keine Kanzlerambitionen hegen kann. Er muss ja aufpassen, dass seine Partei nicht unter die Fünf Prozent Hürde rutscht und gänzlich aus dem Bundestag verschwindet. Das unterscheidet ihn vom grünen Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Scholz kann sich Verständnis für die Nöte seines Finanzministers erlauben, ohne von dessen Seite Konkurrenz fürchten zu müssen. Und beide wissen, dass die Kanzlerschaft von Scholz ohne die FDP Geschichte wäre. Also kann auch mal ein Augenzwinkern aus einer TV-Talkshow rüber kommen. Denn Christian Lindner hat mit seinem Auftritt gegen den Neubau des Kanzleramtes gleich ein doppeltes Ziel erreicht. Er hat sich dem Wahlvolk als knallharter Finanzminister gezeigt und ist Scholz dennoch nicht allzu sehr auf die Zehen gestiegen. Denn der Erweiterungsanbau ist ja kein persönliches Projekt von Scholz, sondern wurde bereits unter Angela Merkel ins Leben gerufen. Scholz ließ ausrichten, dass ein Stopp des Anbaus aufgrund verschiedener Verträge mindestens 100 Millionen kosten würde – für nix sozusagen. Das klingt ja fast wie ein Fachsimpeln unter Finanzexperten.
Aber das TV-Ding mit dem Neubau neben dem Kanzleramt hat ja allenfalls symbolischen Charakter. Deutlich gravierender war ja die Tatsache dass der Bundesfinanzminister die Beratungen über den Haushalt 2024 für vorerst gescheitert erklärte, weil er die milliardenschweren Ausgabenwünsche mehrerer von den Grünen und der SPD geführter Ministerien etwa in der Klima-, Familien- und Verteidigungspolitik für nicht bezahlbar hält. Na klar, heißt es da mal schnell, die FDP sei wieder einmal Blockierer allen Fortschritts. Doch das stimmt nicht. Christian Lindner hat allen Grund, „Stopp!“ zu rufen. Denn auch nach wochenlangem internen Gerangel (mit giftigen Briefen etwa von Robert Habeck) ist kein Szenario in Sicht, wie sich die Forderungen der Fachressorts mit denen des Finanzministers in Einklang bringen ließen. Im Gegenteil. Eigentlich müssten SPD, Grüne und FDP nicht über Mehrausgaben, sondern über Einsparungen diskutieren. Es ist mal wieder eine Zerreißprobe für die „Ampel“-Regierung, was aber nicht heißt, dass dies schlecht sein muss.
Lindner stellte alle Kredite zur Bekämpfung der Energiekrise, zur Unterstützung der Ukraine und für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr zur Verfügung und musste dabei in seiner Doppelrolle als Minister und FDP-Chef immer wieder über den eigenen Schatten springen. Das kann der ehemalige Finanzminister und heutige Kanzler Scholz durchaus nachvollziehen. So sieht Scholz keinen Sinn darin, Lindner mit bei SPD und Grünen populären Forderungen nach einer erneuten Aussetzung der Schuldenbremse unter Druck zu setzen. Er will dem FDP-Chef nichts für ihn Unmögliches abverlangen. Schon früher, als ein Vorstoß Lindners zum Kampf gegen die kalte Progression auf Kritik in der Ampel stieß, sprang Scholz ihm bei. Seine Vorschläge seien „sehr, sehr hilfreich“ und ein „guter Aufschlag“ für die Diskussion. Scholz wird Lindner weiter unterstützen. Auch aus Eigennutz.