Eine Besonderheit nach einem Achtelfinale in der Europa-League ist das Ding mit dem Übersetzer. Nein, da ist jetzt nicht der berüchtigte Übersteiger gemeint, den bestimmt alle Kicker, insbesondere Christian Günter drauf haben. Doch irgendwie hatten dann doch der Übersetzer und der Übersteiger miteinander zu tun, nachdem der SC Freiburg gegen den italienischen Rekordmeister Juventus Turin ausgeschieden ist. Und schließlich gab es noch ein „Lecko mio“von Christian Streich, dessen korrekte Übersetzung auf wackligen Beinen steht. Doch dazu kommen wir noch.
Zunächst einmal musste also der Übersetzer die Entrüstung von SC-Trainer Christian Streich ins Italienische rüber hieven, inklusive Emotion. Denn Streich machte ein Fass auf: Zeitspiel! „Bei einem Foul sollte keiner den Ball berühren dürfen. Wer es tut, kriegt die Gelbe Karte. Es wird alles sanktioniert, und das wird nicht sanktioniert – international nicht und in der Bundesliga auch nicht. Das ist mir vollständig rätselhaft. Warum wird das nicht gemacht, wie im Handball? Wenn ein Spieler der anderen Mannschaft den Ball nach einem Foul in die Hand nimmt, soll er Gelb kriegen. Das geht dann drei Wochen, danach macht das niemand mehr“, sagte Streich. „Und wer profitiert davon? Der Fußball, weil das Spiel fortgesetzt werden kann und so Fairness entsteht.“ Also genauer gesagt, sagte Streich es so: „Und dann isch Fairness.“ Der Übersetzer gab sich dann alle Mühe, diesen Übersteiger von Streich an die eher amüsierten Italiener weiter zu geben. Und er tat dies mit einem Temperament, das halt nur Italiener und Christian Streich an den Tag legen können. Die Zeitspiel-Klage des SC-Trainers zum Abschied aus der Europa-League wird zwar nix bewirken, war aber ein Denkanstoß, der auch in anderen Stadion in Europa seine Berechtigung gehabt hätte. Denn fünf von sechs italienischen Mannschaften kamen im Europokal weiter, nicht selten, indem sie Beton anmischten und die Gegner mit den von Streich beklagten Verschleppungsaktionen völlig entnervten. Aber nun ja, Neapel, Milan und Inter sind im Viertelfinale der Champions-League, die Roma und Juventus im Viertelfinale der Europa-League.
Ein leidenschaftliches Ablenkungsmanöver
Halli, hallo – die Zeitspiel-Anklage von Streich war natürlich ein zwar leidenschaftlich vorgetragenes, aber dennoch durchsichtiges Ablenkungsmanöver. Sagen wir so: Juve hat Freiburg klipp und klar die Grenzen aufgezeigt. Der SC hatte in beiden Spielen zusammen vielleicht zwei bis drei Torchancen, großzügig interpretiert. Das hat natürlich auch Streich gesehen. Man hätte das Spiel wohl noch endlos „fortsetzen“ können, falls es gar kein Zeitspiel der cleveren Italiener gegeben hätte, und dann wären wohl trotzdem nicht mehr SC-Chancen, sondern eher mehr Konterchancen für Juve entstanden. Aber natürlich stand es Streich zu, auf internationalem Parkett mal noch einen Mangel an Sanktionen zu adressieren. Die Botschaft ging ja weniger an Juve als an das Regelwerk und dessen Umsetzung. „Und dann isch Fairness.“ So lautete der Gruß des Christian Streich, der ja wohl nur vorübergehend aus Europa ausschied. Es besteht Hoffnung, dass der SC auch kommende Saison wieder in Europa grüßt. Denn derzeit hat der SC ja einen veritablen Vorsprung auf die Nicht-Europa-Plätze. Aber man weiß ja nie. Gesagt ist gesagt.
Ähnliches hat sich wohl auch SC-Kapitän Christian Günter gedacht, der sich seinerseits der Handspiel-Regel widmete. „Der Fußball muss sich einer Grundsatzfrage stellen“, sagte Günter. „Wenn man aus zwei Metern angeschossen wird, dann weiß ich nicht, wie das ein absichtliches Handspiel sein kann. Es ist für mich in Ordnung, wenn ein Handspiel gegeben wird, wenn der Schuss aus zehn Metern abgegeben wird. Aber so ist das Wahnsinn. Die Regel ist völliger Schwachsinn. Soll ich mir die Hände abschneiden? Das funktioniert nicht. Das entscheiden Leute, die selbst nie auf dem Platz standen.“
Grundsätzlich hat Christian Günter völlig recht. Besonders in der Champions-League im Spiel von RB Leipzig gegen Manchester City wurde der Handelfmeter-Wahnsinn auf die Spitze getrieben. Ein Leipziger Spieler wurde aus einem Meter von hinten (!) angeköpft und der Ball touchierte den Arm nur so leicht, dass er nicht einmal die Flugbahn änderte. Dennoch und trotz (nicht wegen) der Videobilder wurde der Elfer gepfiffen. Was übrigens selten in die Diskussion mit einbezogen wird: Profi-Fußballer sind natürlich auch in der Lage, absichtlich den Gegenspieler im Strafraum an den Arm zu schießen. Derzeit ist das mitunter erfolgversprechender als den Torabschluss zu suchen.
Allerdings ist auch der emotionale Vorstoß des SC-Kapitäns wohl eher als grundsätzlicher Appell zu verstehen, denn als Anklage wegen der beiden Handentscheidungen in den beiden Duellen mit Juventus Turin. Denn innerhalb des inzwischen gewohnten Bildes war sowohl das Handspiel von Matthias Ginter, das im Hinspiel dem Tor von Lucas Höler zum vermeintlichen (dann nicht gegebenen) 1:1 voraus ging, wie auch das Handspiel von Manuel Gulde im Rückspiel (das zum 0:1-Rückstand per Elfmeter und zum Platzverweis des bereits verwarnten Gulde führte) ziemlich erwartbar. Nur wenn die bisher angewandte Regel geändert würde, wäre das zu beanstanden gewesen. Natürlich wäre es viel besser, wenn man die „Beweislast“ konsequent umdrehen würde und wirklich nur noch eine klar erkennbare Absicht beim Handspiel zum Elfer führen könnte. Bisher aber wird „Absicht“ immer unterstellt, wenn keiner das Gegenteil beweist. Sprich: Hände abschneiden, oder du bist immer schuldig.
Das Rauslassen von Grifo war zu verkopft
Da war ja noch die Sache mit Vincenzo Grifo. Klar hatte er in Turin nicht seinen besten Tag, weil er vielleicht zu viel wollte. Doch Streich hat möglicherweise auch zu viel gewollt, als er Grifo dann im Rückspiel in Freiburg aus der Startelf nahm. Im- TV-Interview vor dem Spiel sagte er dazu, dass es seine Aufgabe sei, „das letzte Promill“ aus der Mannschaft raus zu kitzeln. Kann aber auch sein, dass Streich da ein bisschen zu tief in die Kristallkugel geschaut hat. Den gefährlichsten Standard-Spezialisten in einem Heimspiel draußen zu lassen, in dem es am ehesten über Standards zu einem Tor kommen konnte, ist schon sehr verkopft. Und es hat außerdem selbst beim Zuschauen weh getan. Denn Grifo hatte es allein schon aufgrund seiner überragenden Leistungen in der laufenden Saison ganz einfach verdient, in so einem Herzensspiel, das für ihn emotional bedeutend war, in Freiburg in der Startelf zu stehen. Wie gerne wäre er wohl der Leader gewesen, der Italien und Europa zeigen würde, wo Freiburg liegt. Und hatte er nicht sogar im Heimspiel gegen Leverkusen in der Bundesliga erst kürzlich wieder ein Traumtor per direkt getretenen Freistoß erzielt? Davon hat er sicher auch gegen Juve geträumt.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Christian Streich hat als Trainer seit Jahren unglaublich viel für den SC geleistet und seit zwei Spielzeiten beweist er sogar, dass er bei entsprechendem Personal auch ein Trainer sein kann, der Freiburg im oberen Tabellendrittel der Bundesliga befeuert. Er hat dankenswerterweise schon lange nicht mehr von „mir kleine Freiburger“ gesprochen. Aber auch Streich kann (und darf) mal falsch liegen. Die Grifo-Entscheidung gehört dazu.
.„Für diese Übersetzung“, sagte Streich zum Übersetzer, „schenke ich Ihnen nachher ein Trikot vom SC Freiburg.“ Er meinte damit die Leidenschaft, die der Übersetzer an den Tag gelegt hatte, um die Emotionen von Streich rüber zu bringen. Da applaudierte der Saal, denn das war wieder ein typischer Streich. Der SC-Trainer weiß genau, dass es wie in den letzten Jahren einfach ein noch laufender Prozess ist, bis Freiburg mit den europäischen Spitzenteams mithalten kann. So lief der Aufschwung bisher ja auch. Quasi: Zeitspiel!
Die „Lecko mio“-Botschaft
„Wenn wir in Mainz bestehen, einen Punkt holen oder gewinnen und ein gutes Spiel machen, dann sind wir eine Mannschaft, über die du sagen musst: Lecko mio!“, erklärte Streich, der noch etwas unter italienischem Einfluss stand, nach dem Ausscheiden gegen Turin. Er führte aus: „Mainz wird auf uns los gehen, als gäb‘s kein Morgen, Mainz wird mit einer brutalen Wucht kommen, die werden versuchen uns aufzufressen, weil sie wissen, dass wir viel geleistet haben heute.“ Genau das wolle er seinen Spielern vor der Auswärtspartie mit auf den Weg geben. „Es heißt: Alle Kräfte bündeln und voll dagegen halten. Und wenn sie uns dann auffressen, und wir haben uns gewehrt, dann soll es so sein.“
Es sollte dann nochmal anders sein. Der SC wehrte sich prächtig und lag bis zur 96. Spielminute mit 1:0 in Führung. Und dann geschah in der sechsten Minute der eigentlich nur fünf Minuten angezeigten Nachspielzeit folgendes: Es gab Einwurf für Mainz. Und damit dabei gar keine Zeit verloren geht (die ja eigentlich eh abgelaufen war) hat SC-Trainer Christian Streich den Ball vom Boden aufgehoben und ihn dem Mainzer Spieler gereicht. Er war somit der lebende Beweis entgegen des Zeitspiels. Des isch Fairness. Der unverzügliche Einwurf brachte dann prompt den Treffer der Mainzer zum 1:1 in allerletzter Sekunde. Lecko mio, das wäre einem Italiener nicht passiert.