Für Frieden zu sein ist immer schön. Die Frage ist oft, wie dieser Frieden bewerkstelligt oder bewahrt werden kann. Einfach zu sagen „Wir sind für Frieden“ reicht ja leider nicht aus. Eine echte Friedensbewegung wird daher mehr geistige Tiefe haben müssen, um die meist komplizierte Lage einzuschätzen. Man müsste genaue, konkrete Ideen entwickeln, wie der gewünschte Frieden tatsächlich erreicht werden könnte. Eine solche Friedensbewegung wäre als gesellschaftlicher Prozess allein schon deshalb wichtig, weil die Ängste vor Krieg und die Sehnsucht nach Frieden ihren Ausdruck finden sollten. In einer Demokratie ist es außerdem selbstverständlich, dass da ganz verschiedene Ansichten öffentlich diskutiert werden: Manche wollen mehr Waffen aus Deutschland für die Ukraine, manche wollen das Gegenteil. Sicher ist allerdings, dass es solche Diskussionen in Russland nicht gibt, weil es dort sogar verboten ist, auch nur das Wort „Krieg“ zu benutzen.
In Berlin waren nach Polizeiangaben 13.000 Menschen einem Aufruf von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer zu einer Kundgebung unter dem Motto „Aufstand für den Frieden“ gefolgt, die Veranstalter sprachen von 50.000 Besuchern. Die Linke-Politikerin und die Frauenrechtlerin wollten damit ihre Forderungen aus ihrem umstrittenen „Manifest für Frieden“ untermauern. Okay, warum nicht? Also stellte sich die Frage, was genau da gesagt wurde: Wagenknecht hatte bei der Kundgebung erneut einen Stopp von Waffenlieferungen an die von Russland angegriffene Ukraine gefordert. Es gehe darum, „das furchtbare Leid und das Sterben in der Ukraine zu beenden“, so Wagenknecht. Zugleich gehe es darum, Russland ein Verhandlungsangebot zu unterbreiten, „statt einen endlosen Abnutzungskrieg mit immer neuen Waffen zu munitionieren“. Es gelte, das Risiko einer Ausweitung des Krieges auf ganz Europa und womöglich die Welt zu bannen. Dieses Risiko sei „verdammt groß“.
Das ist allerdings für eine ernst gemeinte Friedensbewegung zu schlicht. Wie soll denn auf einer solchen Grundlage Frieden entstehen? Wie ist dabei „Frieden“ überhaupt definiert? Selbst wenn Putin die Kriegshandlungen dann aufgrund der von ihm gewünschten Zugeständnisse einstellen würde – wäre die Abwesenheit von Krieg dann „Frieden“? Und wäre diese Abwesenheit von Krieg eigentlich von Dauer? Es gäbe viele Fragen zu bedenken, auch für alle, die Frieden fordern.
Aber es scheint in Deutschland wie schon bei der Corona-Pandemie um etwas anderes zu gehen. Es wird nicht wirklich um die Sache gerungen, sondern lieber verunglimpft. Das war auch der Ansatz von Wagenknecht. „Heute wollen Politiker unseres Landes, das (Michail) Gorbatschow seine Wiedervereinigung verdankt, Russland ruinieren“, sagte Wagenknecht mit Blick auf den früheren sowjetischen Präsidenten. „Wir wollen nicht, dass mit deutschen Panzern auf die Urenkel jener russischen Frauen und Männer geschossen wird, deren Urgroßeltern tatsächlich von der Wehrmacht auf bestialische Weise millionenfach ermordet wurden.“ Solche Sätze erzeugen scharfe Kritik, auch dass Wagenknecht die Außenministerin Baerbock als „kriegsbesoffen“ bezeichnete. Katrin Göring-Eckhardt von den Grünen geißelte „Naivität“, der Autor Sascha Lobo hat eigens für Wagenknecht, Schwarzer und Co. den Ausdruck „Lumpenpazifismus“ erfunden; „Friedensschwurbler“ heißt es in sozialen Netzwerken; Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) sagte, Sahra Wagenknecht nutze „Putins Sprache“.
Tatsächlich ist ja eine grundsätzliche Frage unbeantwortet: An wen richten sich denn die Friedensappelle? Wenn tatsächlich die Nato und Deutschland Russland überfallen hätten, wäre Ziel und Adressat einer Friedensbewegung klar. Dann wären Biden und Scholz diejenigen, denen man sagen könnte: Hört sofort auf! Da dies nicht so ist, aber die Botschaft von Wagenknecht trotzdem so klingt, als ob es so sei, ist es logisch, dass sie damit Putin das Wort redet. Sie verdreht wie er die schreckliche Wahrheit.