Großes Klimarätsel: Was bedeutet „mehr als frustrierend“? Dies sagte Außenministerin Annalena Baerbock nach der Klimakonferenz in Ägypten. Mehr als frustrierend sei, „dass aufgrund der Blockade von einigen großen Emittenten und ölproduzierenden Staaten überfällige Schritte zur Minderung und zum Ausstieg aus fossilen Energien verhindert wurden“. Die Welt verliere dadurch „kostbare Zeit, Richtung 1,5-Grad-Pfad zu kommen“. Aber nochmal: Was heißt „mehr als frustrierend“? Es ist eine Steigerung, für die es kein Wort gibt. Genauso gut könnte man sagen: „Das ist mehr als Ende“, oder: „Das ist mehr als Erde.“
Aus den Sätzen von Annalena Baerbock spricht folglich auch eine gewisse Ratlosigkeit. Denn die deutsche Außenministerin weiß um das Dilemma, dass jede Art von apokalyptischen Aussagen bezüglich der nahenden Klimakatastrophe nicht etwa zu mehr Anstrengungen im Kampf dagegen führen, sondern eher zu einer Art Fatalismus. Und dies insbesondere bei den Menschen in ihrem Alltag. Doch genau dort wäre die Wende möglich, und wahrscheinlich sogar nur dort. Die Menschen „positiv“ zu erreichen ist allerdings „mehr als“ schwierig.
Die Kritik nach der Weltklimakonferenz
Ein Vertreter der drastischen Worte ist ja stets UN-Generalsekretär António Guterres. Er warf der Konferenz vor, zentrale Ziele verfehlt zu haben. Es sei nicht gelungen, die „drastischen Emissionssenkungen“ auf den Weg zu bringen, die notwendig seien, um die Erderwärmung einzudämmen, sagte Guterres in Scharm al-Scheich. „Unser Planet ist in der Notaufnahme“, so der UN-Generalsekretär. „Wir müssen die Emissionen drastisch verringern und dies anzugehen hat die Klimakonferenz versäumt.“
Auch der EU-Kommissionsvizechef Frans Timmermans bezeichnete die Abschlusserklärung als unzureichend. „Was wir vor uns haben, ist nicht genug als Schritt voran für die Menschen und den Planeten“, sagte Timmermans. In den Verhandlungen habe es zu viele Versuche gegeben, sogar Einigungen der Vorjahreskonferenz von Glasgow zurückzuschrauben. Beim Verlassen des Saals müssten nun alle zugeben, dass die Teilnehmer im Kampf gegen die Erderwärmung nicht genug getan haben.
Damit deutete er an, dass es auch noch schlimmer hätte kommen können. Dieser Hinweis wurde auch bei der Stellungnahme von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck deutlich. Habeck zeigte sich enttäuscht über die Vereinbarungen der UN-Weltklimakonferenz in Ägypten. „Eine schwierige Klimakonferenz ist zu Ende gegangen, mit einem Ergebnis, das uns nicht wirklich zufrieden machen kann“, sagte der Grünenpolitiker. Er lobte allerdings die „konsequente Haltung“ der Europäischen Union (EU) und die „umsichtige deutsche Verhandlungsführung“. Dadurch sei ein Rückfall hinter die Vereinbarungen von Paris und Glasgow verhindert worden. Der Auftrag aus dem Pariser Klimaabkommen gelte jetzt umso mehr, sagte Habeck. Es gehe darum, „in konkreten Projekten beharrlich daran zu arbeiten, die Erderhitzung tatsächlich zu dämpfen“. Im Vordergrund stehe nun, die gemeinsame Abkehr von Kohle, Öl und Gas voranzutreiben. Also jene Abkehr, die auf der Weltklimakonferenz vor allem bezüglich Gas und Öl nicht als Konsens dokumentiert wurde.
Wissenschaftler sehen die Ergebnisse des Gipfels noch wesentlich kritischer. So wertete der Klimaforscher Mojib Latif die Ergebnisse der Weltklimakonferenz als Stillstand. „Wir kommen einfach nicht voran“, sagte Latif im Deutschlandfunk. „Die 1,5-Grad-Marke werden wir auf jeden Fall reißen“, so der Kieler Wissenschaftler. Im Moment sei die Welt auf einem Kurs von 2,5 Grad Celsius Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. „Ich würde sogar eher sagen: drei Grad“, fügte er hinzu.
Was wurde positiv erreicht?
Positiv wertete Annalena Baerbock, dass mit dem Beschluss für einen Fonds zum Ausgleich für klimabedingte Schäden „ein Durchbruch bei der Klimagerechtigkeit“ geschafft worden sei. Damit schlage die Konferenz „ein neues Kapitel in der Klimapolitik“ auf. Es sei auch verankert worden, „dass die Hilfe sich auf die verwundbarsten Länder konzentriert“. Na ja, weil zuvor auch Länder wie China oder Saudi-Arabien als Schwellenländer einen Anspruch aus Geldern aus dem Fond hätten anmelden können, was natürlich absurd gewesen wäre. Mit dem Fond für Klimaschäden sollen unabwendbare Folgen der Erderhitzung wie immer häufigere Dürren, Überschwemmungen und Stürme, aber auch der steigende Meeresspiegel und Wüstenbildung abgefedert werden. Die Fragen dazu hatten sich als größter Streitpunkt durch die zweiwöchige Konferenz gezogen, die um rund 36 Stunden verlängert wurde. In dem Beschluss werden keine Summen für den Entschädigungsfonds genannt und auch nicht, wer genau einzahlen soll. Vorgesehen ist demnach zunächst die Einsetzung einer Übergangs-Kommission, die Empfehlungen dazu erarbeiten soll. Darüber soll dann auf der nächsten UN-Klimakonferenz Ende 2023 in Dubai beraten werden. Begünstigt werden sollen Entwicklungsländer, die besonders gefährdet sind. Auf diese Eingrenzung hatte besonders die EU gepocht. Dass die Konferenz „am Ende trotz der Blockade und organisatorischer Schwächen nicht ganz gescheitert ist, verdanken wir vor allem einem progressiven Bündnis von Staaten über verschiedene Kontinente hinweg“, sagte Baerbock. Klingt ja rätselhaft.
Was lief da hinter den Kulissen ab?
Die gesamte Konferenz lief wohl chaotisch ab, was nicht zuletzt am Gastgeber Ägypten und dessen Außenminister Sameh Shoukry lag. So soll er in letzter Sekunde, quasi über Nacht neue Texte für die Abschlusserklärung der Weltklimakonferenz vorgelegt haben, über die vor allem die Europäer komplett entsetzt waren. So wurde es eine Art Abwehrschlacht für die EU und eine Gruppe von Inselstaaten und Entwicklungsländer, die eigentlich mehr Klimaschutz erreichen wollten, aber am Ende darum kämpfen mussten, dass die Abschlusserklärung nicht sogar die Beschlüsse von Glasgow im Jahr 2021 zurückdrehen.
Es gab wohl Momente in der Nacht vor der Einigung, als die EU erwog, sich komplett zurück zu ziehen und damit eine Abschlusserklärung scheitern zu lassen. Viel hat da offenbar nicht gefehlt. Der EU-Kommissionsvize Frans Timmermans erklärte anschließend, wieso die Europäer es dann doch nicht so weit kommen lassen wollten. „Wir steckten da in einem moralischen Dilemma“, so Timmermans. Zwar reiche der beschlossene Deal in Hinsicht auf die Minderung der Emissionen nicht aus, aber wenn man einfach ohne Ergebnis gegangen wäre, dann hätte man das andere wichtige Anliegen auch fahren lassen, um das man zuvor so gekämpft hatte. „Sollten wir einfach weggehen und dadurch den Fonds killen, für den verletzliche Staaten jahrzehntelang gekämpft haben?“
Weshalb es übel ausgehen könnte.
China weigert sich übrigens, in einen solchen Fonds einzuzahlen. Und mit China steht und fällt nun mal das gesamte Kartenhaus, auf dem die Klimakonferenzen basieren. Da China und die USA sich – vorsichtig formuliert – in einem politischen und wirtschaftlichen Wettstreit befinden, könnte das Klima hinten runter fallen, im doppelten Wortsinn. Der Klimagipfel in Ägypten hat nämlich schon mal gezeigt, dass es dabei auch um Machtpolitik geht. Es ist wohl nicht übertrieben, wenn man so manchem Autokraten dieser Welt unterstellt, dass ihm die Erdatmosphäre gleichgültig ist. Und der Appell, künftige Generationen zu schützen, stößt da auf taube Ohren. China ist bei weitem der größte Klimasünder der Welt (dicht gefolgt von den USA und anderen westlichen Industrienationen) und befindet sich in Gesellschaft mit Russland oder Saudi-Arabien, die beide einem Ausstieg aus fossiler Energie aus naheliegenden Gründen nicht zustimmen.
Der Klimaforscher Mojib Latif sieht vor allem die G-20-Staaten in der Pflicht, ihren CO2-Ausstoß zu drosseln. Auf diese Länder entfielen weltweit derzeit rund 80 Prozent der Emissionen. Zur Rolle Chinas bei den Verhandlungen sagte Latif, die Volksrepublik habe überhaupt kein Interesse daran, ihre Emissionen zu senken. Einer „Allianz der Willigen“, in denen der Wissenschaftler sich neben der EU die USA und Kanada wünscht, bleibe daher nichts anders übrig, als die „dreckig gefertigten Produkte“ aus China von ihren Märkten fernzuhalten.
Kommentatoren sagen, dass bei der Klimakonferenz „weniger als nichts“ erreicht wurde, was das Äquivalent zu „mehr als frustrierend“ darstellt. Wenn sogar einer Annalena Baerbock keine beschwichtigenden Worte mehr einfallen, heißt das: In Nullkommanix geht es zu Ende.