Das große Gedöns um die Verabschiedung des „Bürgergelds“ zeigt populistische Züge der Opposition um Friedrich Merz, als letztes Zucken alter Vorurteile. Es zeigt das Zähneknirschen der SPD und der Grünen, obwohl diese es als ihr tolles neues Ding präsentieren. Auch die FDP kann mal wieder einen Pluspunkt verbuchen, so meint sie zumindest. Alles in allem wurde die Diskussion aber der Sache nicht gerecht, um die es geht. Und damit tut sich die Politik keinen Gefallen. Denn in Wahrheit ist das Bürgergeld-Gesetz eine längst fällige Reform, um Menschen zu helfen anstatt sie zu stigmatisieren. Es ist gut, dass dies am Ende mit breiter Mehrheit verabschiedet wurde.
Es ist schon lustig, wenn sich alle Streithähne nach einem Kompromiss als Sieger präsentieren. Es ist aber auch traurig, wenn ein für viele Menschen existenziell wichtiges Thema mal eben zu parteipolitischen Zwecken missbraucht wird. Vor der Verabschiedung des „Bürgergelds“ durch den Bundestag und den Bundesrat ging es viel zu sehr um die bloße Symbolpolitik. Das war abschreckend.
Die rhetorischen Scharmützel, ohne Wert
Es ging den Parteien um des „Pudels Kern“, parteipolitisch gesehen, und weniger um die konkrete Sache. Daher trat Oppositionschef Friedrich Merz mit vor Stolz angeschwellter Stimme vor die Presse und sagte zur Einigung von Ampel-Regierung und Opposition zum Bürgergeld: „Die Vertrauenszeit wird komplett gestrichen. Und damit ist im Grunde auch der Kern des Bürgergeldes, so wie die Koalition das geplant hat, komplett gestrichen.“ Damit zeigte Merz, dass es bei des „Pudels Kern“ um eine politische Formulierung geht. Das wird besonders deutlich, wenn der CSU-Politiker Alexander Dobrindt von einem „Hartz-IV-Update“ spricht, das stets missverständlich als „Bürgergeld“ bezeichnet werde. Und es wird noch deutlicher, wenn in der SPD nach den Kompromissen dennoch von einem Systemwechsel gesprochen wird, der sich aber vor allem auch an dem einem Begriff festmacht: „Bürgergeld“. Die Ausschussvorsitzende, Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, sagte, der Kern der Reform bleibe erhalten. Und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, wie Schwesig von der SPD, betonte: „Heute ist klar: Das Bürgergeld kommt zum 1. Januar – Hartz IV geht.“ Er nannte dies wahrheitsgemäß „die größte Sozialreform seit zwei Jahrzehnten“. Die SPD will wie Phönix aus der Asche auferstehen, nachdem Olaf Scholz das kleine Wunder geschafft hat, Kanzler zu werden. Die SPD will ihr Trauma überwinden und mit der „Agenda 2010“ ihres Ex-Kanzlers Gerhard Schröder endlich Schluss machen. Sie will die 2005 unter rot-grüner Regierung in Kraft getretenen Hartz-IV-Gesetze überwinden, die ja die Partei seit damals nahezu pulverisierten. Kleine Randbemerkung: Olaf Scholz fand als Generalsekretär der Partei die Pläne von Schröder damals prima.
Es war ein Streit um Begrifflichkeiten mit hohem politischen Symbolcharakter.
Was lief in der Sache ab?
Das Bürgergeld soll am 1. Januar 2023 eingeführt werden und die Hartz-IV-Leistungen ablösen. Damit steigt der Regelsatz für einen Erwachsenen um rund 50 Euro im Monat. CDU und CSU haben mit ihrer Macht im Bundesrat durchgesetzt, dass weiterhin von Anfang an Sanktionen gegen Arbeitslose verhängt werden können, die ihre Mitwirkungspflichten verletzen. Die Jobcenter sollen künftig vorrangig für bessere Chancen der Arbeitslosen sorgen, indem Weiterbildungen oder das Nachholen von Berufsabschlüssen gefördert werden. Die anfängliche Karenzzeit, in der Ersparnisse bis zu 40.000 Euro geschont werden, beträgt ein Jahr. Die Zuverdienstmöglichkeiten werden verbessert. Auszubildende sowie Schülerinnen und Schüler aus Familien, die das Bürgergeld beziehen, können künftig deutlich mehr von ihrem selbstverdienten Geld behalten als bisher im Hartz IV-System.
Der Kompromiss zum Bürgergeld sieht vor, dass es Sanktionen bereits ab dem ersten Tag geben soll. Im ursprünglichen Entwurf war eine „Vertrauenszeit“ von sechs Monaten geplant. Verstößt ein Leistungsempfänger gegen die sogenannten Mitwirkungspflichten, kann ihm bereits im ersten Monat die Grundsicherung um bis zu zehn Prozent gekürzt werden.
Auch beim zweiten großen Kritikpunkt, dem Schonvermögen, gibt es Änderungen. In der Originalfassung des Bürgergelds war für zwei Jahre ein Schonvermögen von 60.000 Euro für den Antragsteller und 30.000 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied vorgesehen. Eltern mit zwei Kindern hätte so 150.000 Euro behalten und trotzdem Grundsicherung beziehen können. Die Summe soll nun auf 40.000 Euro für die erste Person und 15.000 Euro für alle weiteren reduziert und auf ein Jahr begrenzt werden. Die Karenzzeit wird also von 24 Monate auf zwölf Monate verkürzt. In dieser Zeit soll etwa die Wohnungsgröße weiterhin nicht überprüft werden.
Welche Rolle spielte die FDP beim Kompromiss?
Klar ist: Ohne die FDP wäre eine derart schnelle Einigung der Ampel-Regierung und der Union als größte Oppositionspartei wohl nicht erfolgt. Aber die einzelnen Positionen der FDP waren dann doch etwas widersprüchlich. So ließ etwa Johannes Vogel, der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, verlauten: Wer im Bürgergeld arbeite, darf künftig mehr davon behalten, und das sei eine Herzensangelegenheit der Liberalen gewesen, dass es genauso kommt. Demgegenüber sagte (mal wieder) der FDP-Fraktionsvize Wolfgang Kubicki: „Wir als FDP verteidigen derzeit das Bürgergeld – obwohl mir das komplett gegen den Strich geht: Wir schaffen den Anreiz ab, voll arbeiten zu gehen, wenn wir beim Bürgergeld hohe Zuverdienstmöglichkeiten zulassen! Die Menschen verlieren doch den Glauben an den gerechten Sozialstaat, wenn sich Arbeit nicht mehr lohnt.“
Also was jetzt? Wird FDP-Chef Christian Lindner seinen Vize Kubicki demnächst wieder als den stets bereiten „Nonsense“-Sprecher der Liberalen tadeln? Oder ist es durchaus Absicht, sozusagen ganz nebenher, im Streit um das Bürgergeld-Gesetz die politische Nähe zur Union zu dokumentieren. Im Interview mit der „Bild“ teilte Kubicki gegen die Ampelpartner: „Ständig kommen Grüne und SPD mit neuen Forderungen an – das geht nicht mehr. Wenn sich das nicht absehbar ändert, haben wir ein fundamentales Problem.“ Kubickis Botschaft war: Die FDP hat die Nase voll, sich von der aus ihrer Sicht linken Übermacht in der Koalition ständig vorführen zu lassen. Der Streit um das Bürgergeld war deshalb ein willkommener Anlass, zu zeigen: Es gibt ein politisches Leben jenseits einer Ampelregierung. Denn selbst wenn sich Liberale und Union derzeit häufig öffentlich beharken, würde keine Seite zögern, eine gemeinsame Koalition einzugehen, wenn es eine entsprechende Mehrheit gäbe. Somit ist der Bürgergeld-Kompromiss für beide ein Erfolg, weil FDP und Union durch ihre Verbrüderung die Verschärfungen durchgesetzt haben.
Welche Tragweite hat das Bürgergeld?
Trotz aller Kompromisse ist klar erkennbar, dass das „Bürgergeld“ ein Systemwechsel darstellt. Möglicherweise kann man sogar sagen, dass eben wegen der eingegangenen Kompromisse eine große Sozialreform auf einer sehr breiten politischen Basis steht. Denn eine Mehrheit von den Grünen über die FDP bis zur CSU ist für eine Reform dieser Tragweite durchaus zu begrüßen. Und genau diese gab es ja bei dann in Bundestag und Bundesrat.
Manche Äußerungen von Merz und Kubicki sind wie gewohnt ziemlich populistisch. Man versucht dort, teils mit falschen Berechnungen, die Bezieher der Sozialleistungen des Staates als Schmarotzer darzustellen, denen gegenüber jene stünden, die mit ihrer Arbeit sehr wenig verdienen. Das sind die letzten Zuckungen des Gedankens, der ja auch der „Agenda 2010“ von Gerhard Schröder zugrunde lag. Schröder sagte schon im Jahr 2001: „Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft.“ Es war ein Gedanke, der wie Gift in die Gesellschaft sickerte und mehr als 20 Jahre überdauerte.
Denn in Wahrheit war es doch so, dass jemand, der jahrzehntelang gearbeitet hat und dabei immer in die Arbeitslosenversicherung einzahlte durch die „Agenda 2010“ und „Hartz IV“ nach nur einem Jahr Arbeitslosigkeit in die Sozialhilfe abrutschte, dort sein Gespartes an der Garderobe abgeben musste, um hinterher für ein bisschen Sozialhilfe gegängelt und stets als verdächtiger Faulpelz behandelt zu werden. In diese Tradition von Schröder hat sich Friedrich Merz zwar bis zuletzt eingereiht, da er offenbar glaubt, dass man auf arbeitslose Menschen vor allem Druck ausüben müsse. Es kam aber trotzdem zum Systemwechsel, da die Union das Bürgergeld am Ende ja nicht komplett verhindern konnte.
Es gibt eine Karenzzeit, wenn sie auch nur noch ein Jahr gilt. Es gibt die Anhebung der Hinzuverdienstgrenzen. Es gibt Anreize für alle, die eine Ausbildung machen, so dass Fort- und Ausbildung Vorrang haben. Das ist gut.