Robert Habeck neulich im Bundestag: Wie ein Mittelstürmer (der den Bayern sowie der deutschen Nationalelf ja fehlt) griff der sonst so entspannte grüne Erklärungsbär die Opposition frontal an: „Sind wir hier im Fußballstadion, oder was?“ Habeck imitierte dann jene Art von Fußballfans, die man auch Dumpfbacken nennt: „Die Gasumlage muss weg, die Gasumlage muss weg – ja toll, ich finde auch, dass vieles weg muss. Und dann? Woher kommen dann die 35 Milliarden, die wir brauchen? Das sagen Sie nicht. Sie sind die „Muss-weg-Opposition“. Doch kurz darauf war sie wirklich weg, die Gasumlage. Stattdessen präsentierte Kanzler Scholz zusammen mit Habeck und Lindner die Energiepreisbremse mit einem Doppel-Wumms-Volumen von 200 Milliarden Euro. Das erinnert uns natürlich an den genialen Fußballer Franz Beckenbauer, der später als Werbebotschafter dem Satz prägte: „Jo mei, isch denn schon wieder Weihnachten?“
Es war also eine ebenso kämpferische wie überflüssige Rede von Habeck, quasi ein treffsicherer Torabschluss wie von Lewandowski (ohne den die Bayern … aber lassen wir das!). Und natürlich stimmt es auch, dass die Union unter Friedrich Merz so langsam zu einem Club der Sprücheklopfer verkommt und selbst keine Lösung für die diversen Probleme hat. Sie übt sich ausschließlich darin, Häme über die Ampel auszuschütten. Aber das reicht halt nicht, angesichts von Energiekrise, Inflation, Krieg und immer noch nicht besiegtem Corona – worauf Habeck staatsmännisch hinwies. Motto: Das Land ist in Not und die Union siegt Lieder wie „Habeck, wir wissen wo dein Fettnapf steht.“ Doch mit seiner flammenden Rede hat der Wirtschaftsminister ja ebenfalls die Fans bemüht, quasi: „Merz, wir wissen, wo dein Flugzeug steht.“ Mit diesem kam Merz ja bekanntlich zur Hochzeit von Christian Lindner nach Sylt geflogen, selbstredend eigenhändig am Steuerknüppel.
Habeck verteidigte und provozierte Lindner
Nun ist es aber so, dass Habecks Zorn womöglich gar nicht der Opposition galt (an der er sich nur prima abreagieren konnte, wie die Fußballfans immer gern am Schieri), sondern es sich um einen tiefen Konflikt innerhalb der Ampel-Koalition handelte. In seiner „Muss-weg“-Rede forderte er Merz und Co. auf, dass sie sich mal hinstellen und als Alternative zur Gasumlage sagen sollten: „Okay, wir nehmen jetzt sofort 35 Milliarden Euro neue Schulden auf.“
Doch eine solche Aufforderung hätte sich ja vonseiten der Opposition wohl nur an Habecks Ministerkollegen Christian Lindner richten können. Wozu Merz verständlicherweise keine große Lust hat. Denn die Union möchte ja viel lieber den Überflieger Habeck in den Umfragen runterziehen als den ungefährlichen Lindner, den man sogar mal noch als Juniorpartner brauchen könnte. In gewisser Weise hat also Habeck in seiner Rede versucht, seinen Kollegen Lindner sowohl zu verteidigen wie auch zu provozieren. Verteidigt hat er ihn, indem er der Union vorwarf, dass sie selbst sich ja auch nicht für die erneute Aussetzung der Schuldenbremse aussprach, weshalb ihr Satz „Die Gasumlage muss weg“ leichthin gesagt sei. Heißt also indirekt: Man muss verstehen, dass Lindner nicht einfach die Schuldenbremse erneut löst, und wenn die Union das anders sähe, dann soll sie es ehrlich sagen.
Habeck selbst sah das ja anders. Insofern ist seine Verteidigung Lindners gleichzeitig eine Provokation. Die geht so: Er verstehe, dass sein geschätzter Kollege Lindner es sich in dieser Frage nicht einfach macht, wie man ja auch daran sehe, dass selbst die Opposition, die ja die Gasumlage „weg“ haben will, nicht offen sagt, dass dafür der Finanzminister neue Schulden aufnahmen solle. Er, Mittelstürmer Robert (!) Habeck verstehe also den Ampel-Kollegen Lindner, inzwischen letzter Libero des liberalen Wirtschaftsgedankens, aber am Ende entscheiden schließlich Tore das Spiel. Und wer schießt die Tore? Eben – das Geld, rund 35 Milliarden Euro, um genau zu sein. Und dieses Sümmchen würde Habeck gerne bei Lindner lockermachen.
Tja, und dann wurde aus den 35 Milliarden, die eine Gasumlage hätte bringen sollen (sprich: die Gaskunden, die sowieso schon mit den immens hohen Preisen am Anschlag waren) nun eine „Energiepreisbremse“ mit einem Volumen von 200 Milliarden Euro, und zwar über neue Schulden finanziert. Und Christian Lindner hat dem zugestimmt und nennt dies „Abwehrschirm“ im Energiekrieg mit Russland. Damit war er auf Kurs mit Habeck. „Doppel-Wumms“ sagte Scholz dazu. Es ist nicht überliefert, ob er dabei nur den Superman als Comic geben wollte, oder ob er mit Doppel-Wumms die Einigung von Habeck-Wumms und Lindner-Wumms meinte.
Das Hin und Her bei der Gasumlage
Angefangen hatte das beachtliche Ping-Pong-Spiel zwischen Habeck und Lindner, stets über Interviews in diversen Medien ausgetragen, mit der eiligen Konstruktion der Gasumlage. Mit der Gasumlage sollten Gasimporteure gestützt werden, die wegen der hohen Einkaufspreise für Gas in Schwierigkeiten geraten sind, nachdem Putin den russischen Gashahn zugedreht hat. Doch Habeck hat es im ersten Entwurf gleich mal versemmelt. Denn es meldeten sich auch diverse Konzerne an, Geld von der Gasumlage der Verbraucher haben zu wollen, die – auch ohne Unterstützung – satte Gewinne machen. Daraufhin gestaltete Habeck den Entwurf so um, dass er „Trittbrettfahrer vom Trittbrett schubsen“ wollte. Kurz: Ein einziges Gemurkse, das seinen Grund allerdings darin hatte, dass Lindner nicht bereit war, die Sache über den Bundeshaushalt zu lösen.
Weil dann der Gasimporteur Uniper, dessen Schieflage schließlich die Geburtsstunde der Umlage war, doch komplett verstaatlicht wurde, stellte Habeck ebendiese Umlage wieder infrage. Rechtliche Bedenken machte sein Haus geltend, schließlich sammle der Staat dann ja Geld für sein eigenes Unternehmen ein.
Daraufhin Lindner: „Es stellt sich mir bei der Gasumlage weniger die Rechtsfrage, sondern immer mehr die wirtschaftliche Sinnfrage. Wir haben eine Gasumlage, die den Preis erhöht. Aber wir brauchen eine Gaspreisbremse, die den Preis senkt.“ Dan zeichnete sich also die Wende ab, über die hinter den Kulissen der Ampelkoalition längst verhandelt wurde. „Eine Gaspreisbremse muss allen Menschen in einer Volkswirtschaft schnell helfen“, betonte der Finanzminister.
Die politische Verdrehung von gelb und grün
So eine Äußerung kommt normalerweise eher von der SPD und den Grünen, die danach auch schnell zustimmten. Dies war ein gutes Beispiel dafür, wie politische Identifikation im Kern der Auseinandersetzung steht. Denn eigentlich ist es kurios, wenn ein liberaler Finanzminister einen derart aggressiven Eingriff in den Markt mitträgt, wie es die Gaspreisbremse ist. Und ebenso kurios ist es, wenn ein grüner Wirtschaftsminister in einer Rede vor dem Bundesverband der Industrie (BDI) sagt: „Wir haben ein großes Sondervermögen aufgelegt zur Verteidigung unseres Landes in militärischer Hinsicht. Jetzt müssen wir die ökonomische Substanz unseres Landes verteidigen. Und ich meine, dann müssen wir auch die finanzpolitischen Möglichkeiten dafür nutzen, die dieses Land hat.“ Aber war nicht die FDP immer die Partei der Wirtschaft? Die sich schützend vor die Unternehmer und den Mittelstand stellte? Dass nun ausgerechnet ein Grüner sich als Kämpfer für die industrielle Substanz profilieren kann, während ein Liberaler trotz vieler Hilferufe der Wirtschaft auf die Haushaltslage verweist, war eine politisch verdrehte Welt. Habeck hat dann noch verlauten lassen: „Ich hoffe, dass wir in der Bundesregierung eine Klärung herbeiführen können. Würden wir das nicht tun, müsste man sagen: Wir lassen die Unternehmen allein. Und das lasse ich als Wirtschaftsminister nicht zu. Wir lassen die Unternehmen nicht allein – nicht in dieser Zeit, nicht in Deutschland.“
Keine Profilneurosen, Schlagabtausch mit Niveau
Das wollte Lindner natürlich nun gar nicht auf sich sitzen lassen und fand einen trickreichen Ausweg. Für den „normalen Bundeshaushalt“ 2023 gelte weiterhin die Schuldenbremse. Die zusätzlichen 200 Milliarden Euro für den „Abwehrschirm“ werden außer der Reihe als neue Schulden aufgenommen, über den bereits früher bemühten „Wirtschaftsstabilisierungsfonds.“ So konnte Lindner sagen: „Wir sind im Energiekrieg mit Putim. Und wir wehren uns!“
Man gewinnt den Eindruck, dass inhaltlich schwer gerungen wurde, zwischen Habeck und Lindner. Überzeugend ist bei den beiden Akteuren, dass es keine Profilneurosen gibt, der Stil gut bleibt und es ein Schlagabtausch mit Niveau ist. Fast wie beim Fußball.