Was waren das noch für Zeiten, als sich nach der Bundestagswahl im Herbst 2021 die FDP-Spitzen Christian Lindner und Volker Wissing mit den grünen Topleuten Annalena Baerbock und Robert Habeck an einem geheimen Ort trafen, um den Grundstein zu legen für die bald kommende Ampel-Regierung. Dabei war die Rollenverteilung gut ausgedacht und die Perspektiven schienen glänzend. FDP und Grüne sollten das moderne Kraftzentrum sein, Olaf Scholz quasi der Profiteur davon. Drei Landtagswahlen später ist die FDP krachend abgestürzt und Christian Lindner spricht angesichts der Wahlschlappe in Nordrhein-Westfalen selbst von einem „desaströsen Ergebnis.“ Wie konnte es bloß dazu kommen?
Die strahlende Zukunft für die FDP sollte ja so aussehen, dass sie für solide Finanzen, für die Freiheit von Corona-Auflagen, aber auch für die Digitalisierung und Modernisierung des Landes steht und damit im Kraftfeld mit den Grünen ein bisschen für Ausgleich sorgt. Sprich: Wo die Grünen vielleicht haltlos Geld ausgeben würden, sollte die FDP den Gegenpart geben. Wo die Grünen womöglich in schierer Regelwut allen Leuten im Land vorschreiben würde, wie man am Klimawandel gefälligst teilzunehmen habe, sollte die FDP das Türchen zur Freiheit der Bürger offen halten. Und aus alldem würde sich eben das Kraftzentrum der Republik ergeben, das für Erneuerung stehen sollte. Den alten Hasen Scholz und seine zahm gewordene SPD würde man mitnehmen auf die wilde Fahrt. Das würde sich später dann schon regeln lassen.
Aber diese Illusion ist für die FDP nun wie eine Seifenblase geplatzt. Die FDP ist seither in drei Landtagswahlen in einer Realität aufgeschlagen, in der sie wieder gefährlich nahe an der Fünf-Prozent-Hürde liegt (Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen) oder nicht mal ins Parlament einzieht (Saarland). Besonders die Wahl in Nordrhein-Westfalen gilt immer auch als Richtungswahl. Und dort hatte man ja zuvor zusammen mit der CDU regiert. Man verlor dort also nicht nur die Hälfte der Wähler, sondern flog auch noch aus der Regierung, also zumindest aus der bisherigen mit der CDU. Man kann sagen: Die FDP wurde dort abgewählt.
FDP-Chef Christian Lindner hat dann das Ergebnis in NRW nicht beschönigt, aber auch die guten Nerven seiner Partei beschworen, die man angesichts der Gesamtsituation aufbringen müsse. Lindner verweist dabei auf Umfragen, die bundesweit eine stabile Zufriedenheit zeigen würden. Natürlich sind Landtagswahlen immer auch spezifisch mit den Themen dort und dem Personal, das dort zur Wahl steht, verbunden. Wenn man dies aber im Lichte des Ergebnisses der Grünen betrachtet (die Verdreifachung der Zustimmung), das maßgeblich von der Arbeit der Ministerin Baerbock und des Ministers Habeck begünstigt wurde (siehe Seite 6), weiß auch Minister Lindner um seinen Anteil an der FDP-Schlappe.
Christian Lindner kann vielleicht gar nicht soviel dafür. Der Krieg in der Ukraine hat alles verändert. Plötzlich stand da ein Finanzminister, bei dem die Milliarden nur so sprudeln. Er trägt das „Sondervermögen“ (ein seltsames Wort für neue Schulden) von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr mit, er hat dem teuren Entlastungspaket zugestimmt, das den Bürgern wegen der Inflation zukommen soll und zuletzt als Gastgeber der G7-Finanzminister hat er eine Milliarde Euro für die Ukraine zugesagt. Wahrscheinlich war das alles nicht verkehrt. Aber es entspricht halt nicht dem Bild, das sich der klassische FDP-Wähler vom soliden Haushalt macht.
Und die Gruppe der über 60jährigen FDP-Wähler, die bei den Landtagswahlen wohl scharenweise verlustig gingen, waren doppelt verprellt. Bei den Rentnern unter ihnen kam nicht so gut an, dass alle Bürger im Land 300 Euro kriegen sollen, nur die Rentner nicht. Und selbst die Pose der Freiheitspartei gegenüber den Corona-Maßnahmen sowie das Scheitern einer Impfpflicht haben gerade ältere FDP-Wähler erbost. Christian Lindner hat natürlich noch Zeit, seine Lehren aus den herben Rückschlägen für seine FDP zu ziehen. Kraftzentrum geht anders.