Neuerdings leuchten die Grünen nicht nur in der Ampel heller als gelb oder rot. Nach der für sie überaus erfolgreichen Wahl in Nordrhein-Westfalen wurde dem Berliner Spitzenpersonal sogar vom politischen Gegner eine „Leuchtturmpolitik“ als Kompliment um den Hals geworfen. Robert Habeck als Wirtschaftsminister und besonders Annalena Baerbock als Außenministerin leuchten also hell und erhellend in dunkler Nacht deutscher Politik. Doch so viel Strahlkraft hat natürlich auch seine Schattenseiten. Wie schon Bertold Brecht textete:
Denn die einen sind im Dunkeln.
Und die andern sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte.
Die im Dunkeln sieht man nicht.
Ja, besonders Christian Lindner steht nach dem Desaster der NRW-Wahl in einer finsteren Ecke (siehe Seite 9). Aber auch die SPD und Kanzler Scholz kriegen wenig Glanz von der grünen Strahlkraft ab. Eher könnte man sagen, dass Baerbock und Habeck mit ihrer überzeugenden Kommunikation den Kanzler in den Schatten stellen. Okay, dieser steht ja auch für das Rot der Ampel und versucht nach Kräften, möglichst viel Stillstand in die Regierungsprojekte zu bringen, was Scholz selbst aber natürlich als „Vorsicht“ bezeichnen würde.
Grüne als Königsmacher
Das Rekordergebnis der Grünen in NRW – etwa 18 Prozent bei einem Zuwachs von rund zwölf Prozentpunkten, also den Zuspruch verdreifacht – machte sie zu den „Königsmachern“ im bevölkerungsreichsten Bundesland. Kein Wunder also, mit welch freundlichen Worten der grüne Wunschkoalitionspartner von führenden Christdemokraten bedacht wurde. Parteichef Friedrich Merz (siehe Seite 10) ist der Meinung, dass die beiden grünen Minister Baerbock und Habeck zu den Leuchttürmen der Ampelregierung gehören. Er hätte bestimmt keine Probleme, mit ihnen zusammen zu regieren, also 2025 im Bund eine schwarz-grüne Regierung ins Leben zu rufen.
Dazu ist eine schwarz-grüne Regierung in NRW dann natürlich eine hübsche Blaupause. Aber genau deshalb waren die Grünen dort in einer schwierigen Rolle. Einerseits war klar, dass die CDU und Ministerpräsident Hendrik Wüst die Landtagswahl klar gewonnen haben und es daher politische Gepflogenheit ist, dass der Wahlsieger zuallererst die Gelegenheit bekommt, die Regierung zu bilden. Andererseits war die bisherige schwarz-gelbe Regierung mangels Mehrheit abgewählt. Daher war es auch so, dass die Grünen als „Königsmacher“ schon auch auf die Befindlichkeiten im Bund schauen mussten, da ihr Erfolg umgekehrt auch durch eben die Ausstrahlung der Bundesminister zustande kam.
Da theoretisch auch eine Regierung aus SPD, Grünen und FDP möglich war, also eine Ampel wie im Bund, dürfte es Abwägungsprozesse gegeben haben. Ein Kalkül konnte lauten: Für viele ihrer Projekte ist die Ampelregierung in Berlin auf den Bundesrat angewiesen. Weil aber bisher in neun von sechzehn Landesregierungen die Union sitzt, muss die Berliner Koalition jedes Mal um eine Mehrheit bangen. Die CDU im großen NRW aus der Staatskanzlei zu schmeißen, gäbe der Ampel in Berlin also schlicht mehr Macht (wenn auch noch keine absolute Mehrheit im Bundesrat). Und dann ist ja noch das Ding mit der Strahlkraft, dem Licht und dem Schatten. Es ist kein Geheimnis, dass die Liberalen, aber auch die Sozialdemokraten neidisch auf die Grünen und ihren Erfolg blicken. Aus der SPD heißt es, die Grünen sähen offensichtlich manchmal nicht, dass auch die anderen mal Punkte sammeln, Erfolge haben müssten. Sprich: Wir wollen vom grünen Glanz auch etwas ab haben.
Nun ja, die Grünen werden sehr wohl bedacht haben, was es für die Ampel-Koalition im Bund bedeuten könnte, wenn sie nun in Nordrhein-Westfalen ein schwarz-grünes Bündnis schmieden. Damit hätten sie nämlich die CDU schon auch ein bisschen am Haken, da eine gemeinsame Regierung in NRW auch grüne Strahlkraft auf die Bundesebene hätte. Im Sinne der Grünen hieße dies: Bei wichtigen Entscheidungen etwa beim Klimaschutz könnte sich auch die Bundes-CDU nicht nur als Opposition verstehen, wenn man doch im wichtigsten Bundesland gemeinsam regiert. Das Kalkül könnte sein, dass CDU-Chef Merz bei allen konkreten Entscheidungen ja immer auch die weitere Perspektive ein schwarz-grünen Bundesregierung in spe zu bedenken hat.
Jedenfalls wurden die schwarz-grünen Sondierungen positiv abgeschlossen und mit den konkreten Koalitionsverhandlungen begonnen (Ergebnis bei Redaktionsschluss nicht bekannt).
Wie erklären Grüne selbst ihren Erfolg?
Ein Grund für den Erfolg der Grünen sei „eine Politik, die ehrlich und transparent kommuniziert, und die Zumutungen ausspricht“, sagte die erfolgreiche NRW-Spitzenkandidatin Mona Neubaur. Parteichef Omid Nouripour erklärte sich „das beste Ergebnis aller Zeiten“ zuerst in Schleswig-Holstein und dann in Nordrhein-Westfalen damit, dass die Grünen den Menschen glaubhaft hätten vermitteln können, „wie man es macht, eine Industrieregion zu erhalten und gleichzeitig klimaneutral zu werden.“ Er fügte an, dass man aber keine Triumphgefühle habe.
Nun ja, das wäre ja auch das Gegenteil des Habeck-Sprechs, der stets auf bescheidene Auftritte pocht. Und die „Zumutung“, die damit emotional ausgesendet würde, beträfe ja auch Kanzler Scholz. Nach dem Dämpfer bei der Bundestagswahl hat der erneute Aufschwung der Grünen in der Ampel-Regierung tatsächlich viel mit Kommunikation und persönlicher Glaubwürdigkeit von Habeck und Baerbock zu tun. Man könnte auch sagen: Sie sammeln ein, was Kanzler Scholz liegen lässt. Sie machen das auch klasse. Aber das Kompliment, dass sie „Leuchttürme“ der Ampelregierung seien, ist natürlich auch vergiftet. Denn es streut bewusst Salz in die Wunden von SPD und FDP. Und wer von oben leuchtet, gar den Koalitionspartnern heimleuchtet, kann auch abstürzen.
Grüne, die Waffen und der Krieg
Radikal verändert hat sich bei den Grünen ihre Haltung zu Krieg und Pazifismus. Der frühere Außenminister Joschka Fischer musste sich 1999 wegen des Kosovo-Einsatzes der Bundeswehr noch als Kriegstreiber beschimpfen lassen. Auf einem Parteitag dazu bewarfen ihn Mitglieder mit einem Farbbeutel. Im Mai 2022 schlägt die grüne Außenministerin Annalena Baerbock zwar ähnliche Töne an wie Joschka Fischer 23 Jahre zuvor. „Wenn wir die Möglichkeit haben, einen Völkermord zu verhindern, dann werden wir alles dafür tun, auch wenn es vorher nicht im grünen Parteiprogramm gestanden hat“, so Baerbock. Doch im Unterschied zu damals ist heute die Partei der Grünen in dieser Frage weitgehend einig. 72 Prozent der Grünen-Wähler sprachen sich in einer Umfrage aktuell für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine aus – so viel wie in keiner anderen deutschen Partei.
„Was klar ist: Die Ukraine braucht weiteres militärisches Material, vor allem auch schwere Waffen. Und jetzt ist keine Zeit für Ausreden, sondern jetzt ist Zeit für Kreativität und Pragmatismus“, fasst dies Annalena Baerbock in Worte. Und zwar mit der Rückendeckung der Partei. „Die Situation in der Ukraine zwingt uns, Dinge zu tun, die wir uns vor einigen Monaten noch nicht hatten vorstellen können; und auch die Lieferung von schweren Waffen ist sicherlich eine davon“, sagte Parteichef Nouripour, der im Iran aufgewachsen ist und dort selbst als Kind Krieg erlebt hat. In der Parteispitze herrschte hingegen mindestens Unverständnis über den „Selbstdarsteller Toni“. Gemeint war hier der Alt-Linke Anton Hofreiter, der lautstark zum Panzerkenner mutiert war und der den „zögerlichen Kurs“ von Kanzler Olaf Scholz an den Pranger stellte. Die Regierung mache gute Arbeit, ließ hingegen die Parteispitze der Grünen verlauten – und sie in dieser Form zu kritisieren, um herauszustechen, schüre in der Bevölkerung unnötig Ärger. „Es ist unser Job als Grüne, die historisch gewachsene berechtigte Kultur der militärischen Zurückhaltung nicht aufzugeben. Das ist und bleibt richtig“, sagte Grünen-Chef Nouripour. „Wir werden immer Friedenspartei bleiben.“ Na ja, „Frieden schaffen mit schweren Waffen“, wäre der aktuelle Slogan dazu.
Grüne und ihr Kernthema
War da nicht noch was Grünes außer Krieg und Waffen? Ach ja, der Kampf gegen die Erderwärmung und den Klimawandel. Robert Habeck hat steile Pläne für die Energiewende vorgelegt. Russlands Krieg in der Ukraine hilft ihm bei der Umsetzung dieser Pläne. Denn alle wollen schnell unabhängig sein von russischem Gas.