Natja Brunckhorst sitzt auf einer Küchenbank, als wir über Zoom miteinander sprechen, und ich erkenne sie nicht wieder. Natürlich nicht. Das letzte Mal als ich sie gesehen habe, war sie 14 Jahre alt, langhaarig und sah aus wie ein Junkie. Das war im Kinofilm „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. Natja Brunckhorst spielte die Hauptrolle erschreckend authentisch und der Film wurde prägend für eine ganze Generation. Jetzt hat sie hinter der Kamera gestanden und als Regisseurin und Drehbuchautorin ihren ersten langen Spielfilm in die Kinos gebracht: „Alles in bester Ordnung“ mit Corinna Harfouch in der Hauptrolle. Ein warmherzig-humorvoller Film, den sie am 5. Juni um 20 Uhr persönlich in Freiburg im Friedrichsbau-Kino vorstellen wird, inklusive einer Verlosung vieler Filmrequisiten.
Als der Film „Christiane F. –Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ gedreht wurde, waren Sie 13 Jahre alt. Ich war damals etwa gleich alt, als ich ihn zum ersten Mal im Kino sah und fand ihn sehr faszinierend, aber nicht wirklich abschreckend.
Natja Brunckhorst: Es ist ja auch faszinierend, wenn man einen relativ hübschen Menschen mit David Bowie-Musik umrahmt. Das Medium Film ist ja schon an sich ikonisch.
Sie hatten keinerlei schauspielerische Erfahrung und wurden vom Schulhof weg für diesen Film entdeckt. Wie war das, als junges Mädchen solche krassen Drogenszenen zu spielen?
Natja Brunckhorst: Ich hatte tatsächlich keine Ausbildung, ich stand da einfach auf dem Schulhof. Ich hatte vielleicht so eine innere Traurigkeit, die Christiane F. auch hatte. Ich musste deswegen keine Drogen nehmen, aber ich konnte das sehr nachempfinden, wie es ihr geht. Dann wurde mir gesagt, mach das so, zitter mal – und dann habe ich halt gezittert. Ich habe mir nicht so viele Gedanken darüber gemacht. Man nennt das unter Schauspielern „die erste Naivität“ und es ist schön, wenn man die später als Schauspieler auch wieder entwickeln kann, denn das ist toll, wenn man sich nicht so einen Kopf macht, sondern einfach drauf los spielt. Schauspielern hat sehr viel damit zu tun, sich fallen zu lassen und zu vertrauen. Das konnte ich damals sehr gut.
Ich muss diese Frage stellen: Wie war die Begegnung mit David Bowie?
Natja Brunckhorst: (Lacht) Also ich wusste damals nichts von David Bowie. Damals hatte ich noch einen anderen Musikgeschmack. Ich kam vom klassischen Piano und habe Bach gespielt. Wir sind nach New York geflogen, da David Bowie zu dieser Zeit dort Theater spielte, weshalb er nicht nach Deutschland kommen konnte. Wir haben in New York dann die Szene so aufgebaut, als wenn das ein Konzert wäre. Ich fand das toll, dorthin zu fliegen, fand das Hotel klasse und habe im Central Park die Streifenhörnchen gefüttert. Ich war da noch ganz kindlich. Leider war unser Drehtag genau der Tag, an dem John Lennon erschossen wurde, nur fünf Blocks von unserem Hotel entfernt. Alle waren im Schockzustand. Alle, auch Bowie. Und er sagte, er kommt nicht, er kann nicht. Das ist ja auch verständlich. Dann hat unser Filmteam versucht ihn zu überzeugen, dass wir ihn brauchen, und dass es nur heute geht. Wir waren mit 30 Leuten extra angereist. Er ist dann tatsächlich auch gekommen. Aber er und auch alle anderen waren eigentlich nicht wirklich anwesend. Wir haben alle zwar gemacht, was zu machen war, aber es war ein ganz seltsamer Tag. Ich habe physisch auf Bowies Schoß gesessen, um Fotos zu machen, aber wir waren alle nicht wirklich anwesend.
Sie haben eine inzwischen erwachsene Tochter. Hätten Sie es für gut befunden, wenn sie mit 13 solche Erfahrungen gemacht hätte?
Natja Brunckhorst: Verhindert hätte ich es nicht. Ich bin sowieso der Meinung, jeder hat so seinen Schicksalsweg. Gewünscht hätte ich es ihr aber auch nicht. Keinem jungen Menschen wünsche ich solch einen plötzlichen Erfolg. Nicht zu Unrecht gibt es viele, die daran scheitern. Ich hatte einen guten Schutzengel und bin ganz gut durchgekommen. Aber natürlich auch durch meinen radikalen Rückzug nach dem Film, durch den ich mich geschützt habe. Es gibt im Leben eines jeden Menschen Entscheidungsmomente, in denen sich das Leben wendet. Beispielsweise auch wenn man jemanden kennenlernt und mit ihm Kinder bekommt. Und als ich damals auf dem Schulhof saß und die mich angesprochen haben, sie bräuchten noch dünne Mädchen für einen Film, da haben die ja nicht gesagt in 42 Jahren reden wir immer noch darüber (lacht). Aber es war natürlich ein Moment, der mein Leben geprägt hat.
Haben Sie manchmal darüber nachgedacht, wie Ihr Leben verlaufen wäre ohne diesen Film?
Natja Brunckhorst: Ja, darüber habe ich schon häufiger nachgedacht. Ich bin der ganzen Geschichte, aber auch der Christiane F. als Person dankbar, denn ohne das alles wäre ich ja jetzt nicht hier, wo ich bin. Und ich mache meinen Job echt gern und bin sehr dankbar, dass ich Filme machen darf. Ich denke mal, mein Leben wäre sonst ruhiger verlaufen. Ich hoffe, ich hätte dann die Schule fertig gemacht und wahrscheinlich etwas mit Mathematik gemacht. Logisches Denken kann man übrigens sehr gut fürs Drehbuchschreiben nutzen.
Wieso das?
Natja Brunckhorst: Für mich liegt das Drehbuchschreiben zwischen Chaos und Ordnung. Zuerst lässt man sich inspirieren, von Bildern und Recherchen. Wirklich Chaos. Aber dann muss man es ordnen. Das hat auch was von Musikalität, es muss ein Rhythmus haben und stimmig sein. Diese Art von Ordnung versus kreativem Chaos ist für ein Drehbuch sehr gefragt. Man muss den Überblick behalten, immer wieder aber auch eintauchen ins Chaos. Und da kann es nicht schaden, wenn man auch bisschen ein mathematisches Hirn hat (lacht).
Als der Medienrummel damals um Sie begann, sind Sie erst einmal nach London und später nach Paris gegangen. Sie haben dann, recht spät, Schauspiel studiert. Dann haben Sie sich aber mehr aufs Drehbuchschreiben konzentriert und nun Ihr Debüt als Regisseurin eines Kinofilms. Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Natja Brunckhorst: Schauspiel ist etwas Tolles, ich liebe es. Es ist etwas Schönes, Weiches, Vertrauensvolles. Ich möchte das wirklich nicht missen, diesen Moment wenn die Klappe geschlagen wird, ein Magic Moment da ist und alle schauen einen an. Es ist aber genauso spannend hinter der Kamera zu sitzen, und man kann noch ein bisschen daran schrauben, man muss nicht nur vertrauen. Ich muss in den Zauber des Momentes vertrauen, aber ich kann auch noch justieren. Und zum Schreiben bin ich tatsächlich deshalb gekommen, weil ich Mutter wurde (lacht). Ich wollte immer schon schreiben, hatte aber nicht die Disziplin. Das ist, glaube ich, für viele, die gerne schreiben möchten, ein Thema. Aber als Mutter wusste ich genau: okay, jetzt ist meine Tochter im Kindergarten, ich habe bis 12 Uhr Zeit. Also, wie nutze ich sie? Und dann habe ich geschrieben. Durch diese äußere Struktur, die einem Kinder einfach geben, war es mir möglich, eine innere Disziplin zu finden.
Sie sagen, der Film ist eine Hommage an Ihre Mutter. War sie ein Messie?
Natja Brunckhorst: Sie war eine leidenschaftliche Sammlerin. Man kann auch sagen Extremsammlerin. Ich habe versucht den Film ohne Wertung zu machen. Wie viel braucht ein Mensch? 100 oder 10.000? Jeder braucht genauso viele Sachen, wie er braucht. Es gibt da kein Richtig und kein Falsch. Meine Mutter hatte einen sehr liebevollen Zugang zu den Dingen: Das kann man nicht wegschmeißen, das ist wertvoll. Und wenn es kaputt ist, kann man es ja noch reparieren (lacht). Das ist ein ganz herzlicher Angang, auch haptisch.
Sie sind maßgeblich bei Ihrem Vater aufgewachsen. Wenn Sie Ihre Mutter besucht haben, dann kamen Sie also in die Wohnung einer Sammlerin. Sah es dort so aus wie im Film?
Natja Brunckhorst: Ja, genau. Meine Mutter war hochintelligent, eine tolle Frau. Und sie war sehr attraktiv. Wenn sie über die Straße ging, haben die Leute geschaut. Sie hatte eine tolle Ausstrahlung und einen sehr schrägen Humor, den ich auch sehr geliebt habe. Davon habe ich vielleicht ein bisschen was abgekriegt (lacht). Und: Sie hatte zu viele Sachen.
Fanden Sie das als Kind irritierend oder eher spannend?
Natja Brunckhorst: Das war wie eine andere Welt. Das war tatsächlich spannend, was es da alles gab. Später, als ich dann Jugendliche war, sah ich das dann auch kritischer. Solche Dialoge wie im Film hatte ich mit meiner Mutter auch (lacht). Zum Beispiel den über die kaputte Brotschneidemaschine: „Ich kann die noch gebrauchen oder an Freunde verschenken!“ „Du willst deinen Freunden eine kaputte Brotschneidemaschine schenken?“
Wie halten Sie es selbst mit dem Sammeln?
Natja Brunckhorst: Mittelmaß (lacht). Ich komme sicher vom kreativen Chaos. Mein Bruder – und davon habe ich auch etwas für meinen Film geklaut – war in seinem Zimmer immer am Staubsaugen, und ich bin von der Anlage her eher die Sachensucherin Pippi Langstrumpf. Mittlerweile jedoch, durch mehrere Umzüge und auch da ich viel reise, bin ich inzwischen sehr viel strukturierter. Also meine Wohnung ist okay, ich denke ganz normal.
Als Sie damals nach dem „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“-Film dem Rummel entfliehen wollten, haben sie auch in einem besetzten Haus in London gewohnt. Wie kamen Sie so jung mit dem Chaos dort zurecht?
Natja Brunckhorst: Das war gar nicht so chaotisch dort. Ich bin ja mit meinem Vater in einer Wohngemeinschaft aufgewachsen, das war Chaos (lacht). Da war mein Bruder mit dem Staubsauger eher die Ausnahme. Die Wohnung im Film ist ja auch wie eine Höhle. Wir haben sehr daran gearbeitet, dass es gemütlich aussieht, trotz der vielen Dinge.
Gibt es denn schon weitere neue Projekte?
Natja Brunckhorst: Ich habe schon ein neues Drehbuch für einen nächsten Film geschrieben, bei dem ich Regie führen möchte. Der kommt frühestens 2024 in die Kinos. Er wird auch wieder humorvoll, weil ich gerne Filme mache, wie ich sie auch selbst gerne sehe.
Das komplette, ausführliche Interview können Sie unter www.barbarabreitsprecher.com lesen.
„Alles in bester Ordnung“ läuft täglich um 20.15 Uhr im Friedrichsbau. Am 5. 6. um
20 Uhr wird Natja Brunckhorst zu Gast sein.