Bundeskanzler Olaf Scholz gibt Rätsel auf. In einem Radiointerview sagte er über Kritiker, die ihm im Zusammenhang mit dem Ukraine- Krieg Führungsschwäche vorwarfen: „Manchen von diesen Jungs und Mädchen muss ich mal sagen: Weil ich nicht tue, was ihr wollt – deshalb führe ich.“ Das ist natürlich jetzt eine große Denksportaufgabe für uns. Alte Philosophen, die wir alle sind, denken da an „Ich denke, also bin ich.“ Wir übersetzen sofort: „Ich scholze, also führe ich.“ Doch das Rätsel, das Scholz uns präsentiert, ist ja durch die Verneinung („Weil ich NICHT tue“) umso raffinierter. Es führt uns quasi auf direktem Wege zu der Frage, was Führung ist. Und da gibt es ja einen, der schon viel darüber gesagt hat. Nein, nicht Descartes, nicht Sokrates, weder Kant noch Hegel. Der Mann heißt: Olaf Scholz.
Olaf Scholz ist sozusagen Philosoph in eigener Sache, wenn es um „Führung“ geht. Vor vielen Jahren hat er ja über sich selbst den Satz gesagt, der seither vielfach zitiert wurde: „Wer bei mir Führung bestellt, der bekommt sie auch.“ Das wahrhaft Philosophische dieser Scholzschen Definition ist ja klar: Es muss erst einen geben, der bei Scholz Führung „bestellt“, bevor sie geliefert wird. Aber ist das dann Führung oder eher Kellnern?
Nach seinem Wahlsieg, der ihn zum Bundeskanzler machte, geht es ständig um die Frage der Führung durch Scholz. Dies war zuerst in der Frage der Impfpflicht der Fall. Als Kritik an der Führung von Scholz aufkam, weil die Ampel-Regierung die Impfpflicht nicht mit einem eigenen Gesetz durchsetzte (was ja die FDP nicht wollte), konterte dieser: „Den Weg zu öffnen für eine Debatte, das ist der richtige Weg für demokratische Leadership“, so Scholz. Nun ja, wie das Ding mit der Impfpflicht im Parlament ausging, ist bekannt. Es gab keine Mehrheit für nichts und daher auch keine Impfpflicht in Deutschland. Die „Führung“ von Scholz hat also nicht zu jenem Ziel geführt, das Scholz selbst benannt hatte. Wahrscheinlich hatte FDP-Chef Christian Lindner auch gar keine Führung beim Kanzler bestellt. Und wenn nix bestellt ist, liefert Scholz auch nicht. Da kam zum ersten Mal das Wort auf, das konträr zu „Führung“ steht: Zaudern.
Scholz-Reflex: Große Geldversprechen
Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine am 24. Februar rückten Corona, Impfpflicht und Klimakrise in den Hintergrund. Scholz gab dazu Ende Februar eine Regierungserklärung ab: „Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor“, waren Kernsätze in seiner Rede. Zugleich hat er angekündigt, die deutsche Politik dieser neuen Realität anzupassen. Lieferung einiger schnell verfügbarer Waffen an die Ukraine und eine mit 100 Milliarden Euro „Sondervermögen“ ausgestattete neue Verteidigungspolitik – für einen SPD-Politiker eine rasante Kehrtwende. Das klang schwer nach Führung.
Sieben Wochen später war wieder das Wort „Zaudern“ da. Explizit ausgesprochen hat es die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die als graue Eminenz eher nicht an ein „Mädchen“ erinnert. „Das Problem sitzt im Kanzleramt“, sagte auch Anton Hofreiter von den Grünen. Die Kritik drehte sich darum, dass Scholz kein klares Bekenntnis zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine abgab.
Warum diese unverhohlenen Vorwürfe von Politikern der Ampel-Koalition kommen, hat einen sehr realen Hintergrund. Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Anton Hofreiter waren zusammen mit Michael Roth (SPD) persönlich in die Ukraine gereist, im Unterschied zu Olaf Scholz. Die direkte Auseinandersetzung mit der Situation vor Ort macht halt einen Unterschied.
Olaf Scholz reagierte auf die Kritik mit einem Reflex, den man mittlerweile kennt: Er versprach eine Milliarde Euro „Ertüchtigungshilfe“ für die Ukraine. Wie er zuvor die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr versprach und im Angesicht der Corona-Pandemie (damals noch als Finanzminister) von der „Bazooka“ sprach, die er an Wirtschaftshilfen ausschütten wolle. Viel Geld soll viel Entschlossenheit signalisieren, scheint hier sein Motto zu sein. Ach ja, übrigens: An dem 2020 von Scholz verwendeten Begriff der „Bazooka“ lässt sich ablesen, dass er damals nie und nimmer mit einem Angriffskrieg Putins gerechnet hat. Heute wäre der Gebrauch dieses Wortes wohl nicht angebracht, da die „Bazooka“ ja eine frühere Weltkriegs-Waffe ist, mit der Raketen abgefeuert werden. Da holt Olaf Scholz zumindest verbal die Vergangenheit und deren Fehleinschätzungen von Putin ein.
Friedrich Merz wollte die Ampel vorführen
„Deutschland muss der Ukraine mehr helfen, als wir es gegenwärtig tun“, forderte CDU-Chef Friedrich Merz. Kanzler Olaf Scholz werfe „eine Nebelkerze nach der anderen“, sagte Merz. „Er vertuscht, er verschweigt, er sagt nur die halbe Wahrheit.“ Merz erklärt das zurückhaltende Vorgehen des Bundeskanzlers in Bezug auf die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine damit, dass es in der SPD-Fraktion „massiven Widerstand“ gegen solche Waffenlieferungen gebe. Scholz weiche „diesem Thema aus, weil Angst davor hat, dass in seiner eigenen Fraktion offener Widerspruch dagegen geäußert wird“, so Merz. Der Oppositionsführer ging sogar so weit, dass er behauptete, Scholz „nimmt zu viel Rücksicht auf das Russland-Netzwerk der SPD.“
Die Wende aus heiterem Himmel
Die Wende von Scholz kam scheinbar wie aus heiterem Himmel: Die Bundesregierung wolle die Weitergabe von Gepard-Flugabwehrpanzern an die Ukraine ermöglichen, hieß es plötzlich. „Der Gepard ist ein komplexes System, das nicht gerade einfach zu bedienen ist, aber er gehört zum Besten, was es an mobiler Flugabwehr im Westen gibt“, schreibt der Politikwissenschaftler Georg Löfflmann auf Twitter. Und weiter: „Wir sind von ‚die sind zu doof für den Marder‘ umgeschwenkt auf ‚hier radargeleitete Flugabwehrkanonenpanzer bitte schön‘. Trotzdem ein gutes Signal.“
Es folgte die Einigung der Ampel-Regierung mit der Union auf einen gemeinsamen Antrag im Bundestag, der mit großer Mehrheit angenommen wurde (586 Ja-Stimmen, 100 Nein-Stimmen, sieben Enthaltungen). Somit forderten die Abgeordneten die Bundesregierung auf, die „Lieferung benötigter Ausrüstung an die Ukraine fortzusetzen und wo möglich zu beschleunigen.“
Die Kommunikation von Kanzler Scholz ist schmal
Scholz sagte in einem „Spiegel“-Interview, dass es in der jetzigen Lage „einen kühlen Kopf und gut abgewogene Entscheidungen“ brauche. Er tue „alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt. Es darf keinen Atomkrieg geben.“
Das ist natürlich rühmlich, da wir alle nicht verglühen wollen. Wieso allerdings ausgerechnet Olaf Scholz das Zünglein an der Waage sein sollte, ob es einen dritten Weltkrieg gibt, bleibt rätselhaft. Das müsste Scholz all den Jungs und Mädels, die wir Bürgerinnen und Bürger alle sind, dann doch mal erklären.
Die US-Sicherheitshilfe für die Ukraine seit der Invasion belaufe sich auf etwa 3,7 Milliarden Dollar, erklärte kürzlich US-Außenminister Antony Blinken. Weitere 33 Milliarden (!) hat US-Präsident Biden bereits beantragt. Wenn Putin den Weltkrieg führt, dann gegen die USA.
Die Kehrtwende mit der Gepard-Lieferung war so streng geheim, dass kaum einer es wusste. Klingt nach: „Ich scholze, also bin ich.“ Und bei der Debatte im Bundestag war einer nicht da, sondern weilte in Japan. Auch ein typisches Scholz-Statement: Ohne Worte.
Der Scholz, der spricht
Danach ging Scholz mehrfach in die Offensive. Sein Credo ist stets, dass er besonnen und in enger Abstimmung mit den Verbündeten seine jeweiligen Entscheidungen treffe. Also nachdem die USA Panzerhaubitzen in die Ukraine liefert, tut Deutschland dasselbe auch. Scholz behauptet, dass sein Kabinett einig und geschlossen sei, also von ihm bestens geführt. Ebenso die EU und die Nato. In seiner Rede ans (Fernseh-)Volk vom 8. Mai versuchte der Kanzler alle zu beruhigen. Motto: Ich habe es im Griff. Er sagt so Sätze wie: „Deutschland und die Nato wird nicht Kriegspartei werden.“ Woher will er das wissen? Was ist, wenn Putin in der Ukraine „kleine“ Atombomben einsetzt? Und was ist, wenn Putin ein Nato-Land direkt angreift, vielleicht sogar Deutschland, weil dort ukrainische Soldaten an der Haubitze 2000 ausgebildet werden? Das ist zwar unwahrscheinlich. Aber Scholz täte gut daran, seine Worte sorgfältiger zu wählen. Denn kein Biden und kein Putin haben bei ihm Führung bestellt.